WAS BISHER GESCHAH (8)
: Ehrenbär für Lanzmann

In seiner Dankesrede sprach er über sein besonderes Verhältnis zu Berlin

Ein Kreis hatte sich geschlossen, als ein bewegter Claude Lanzmann am Donnerstagabend im Berlinale-Palast seinen Goldenen Ehrenbären entgegennahm. Schließlich hatte Ulrich Gregor, der die Laudatio hielt, Lanzmanns Opus magnum „Shoah“ 1986 im Forum gezeigt. Und an die heftigen Reaktionen, die der Film, in dem Holocaust-Überlebende über das eigentlich Unaussprechliche sprechen, damals hervorgerufen hat, erinnern sich beide bis heute.

In seiner Rede bezeichnete Gregor diesen „Blick in die Abgründe der menschlichen Seele“ als „größtes Ereignis in der Geschichte des Forums“. „Shoah“ damals in Deutschland gezeigt zu haben habe dazu beigetragen, einer ganzen Generation die Möglichkeit zu eröffnen, „sich der Last der Verantwortung“ zu stellen. Später sollte Claude Lanzmann hinzufügen, er habe die emotionalen Reaktionen der Zuschauer damals „als Ausdruck eines Gefühls der Befreiung“ empfunden.

Zwölf Jahre hatte Lanzmann an diesem neuneinhalbstündigen Mammutwerk gearbeitet, bis er aus 350 Stunden Material einen Film extrahiert hatte, der ausschließlich aus Interviews besteht. Und es ist jene Diskrepanz zwischen dem Horror des Erzählten und den Bildern, die eben nicht versuchen, diesen Horror visuell zu verdoppeln – jene „Dialektik von Anwesenheit und Abwesenheit“, wie Ulrich Gregor es ausdrückte –, die „Shoah“ zu einem so erschütternden Dokument macht.

Nachdem der 1925 in Paris geborene Claude Lanzmann im Zweiten Weltkrieg als Partisanenkämpfer das Hitler-Regime bekämpft hatte, kam er 1947 für ein Jahr nach Tübingen, um dort Philosophie zu studieren. Später, nach seiner Rückkehr nach Frankreich, arbeitete er für Jean-Paul Sartres und Simone de Beauvoirs Zeitschrift Les Temps Modernes, seit 1986 als deren Herausgeber.

Erst spät, da ging er schon stramm auf die fünfzig zu, fing Claude Lanzmann an, Filme zu drehen: Nach „Pourquoi Israel“ (1972) und „Shoah“ (1985) folgten unter anderem „Tsahal“ (1994), „Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr“ (2001) sowie „Der Karski-Bericht“ (2010).

In seiner Dankesrede sprach Claude Lanzmann über sein ganz besonderes Verhältnis zu Berlin. Er erinnerte sich an jene zwei Jahre, die er als Lektor an der Freien Universität verbracht hatte, und sprach über Erinnerungsorte, die er immer wieder aufsuche: historische, wie den, wo der Leichnam Rosa Luxemburgs in den Landwehrkanal geworfen wurde; oder symbolische, wie die Topographie des Terrors.

Im Anschluss an die Verleihung des Ehrenbären wurde „Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr“ gezeigt. Und wer je die in wilder Panik brüllenden Gänse in diesem Film gehört hat und weiß, wofür sie in Sobibor verwendet wurden, der wird das nie vergessen. ANDREAS RESCH