Kritik an Afghanistan-Äußerung: Bundespräsident Köhler tritt zurück
Bundespräsident Horst Köhler hat überraschend seinen Rücktritt erklärt. Er begründete dies mit den Reaktionen auf seine umstrittenen Afghanistan-Äußerungen.
BERLIN dpa/taz | Bundespräsident Horst Köhler hat am Montag als Bundespräsident seinen Rücktritt erklärt. Hintergrund sind umstrittene Äußerungen des Staatsoberhaupts über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
Die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler am Montag in Berlin. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen.
Köhler sagte in seiner Erklärung, er habe Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD) über seinen sofortigen Rücktritt informiert. Der Bremer Regierungschef übernimmt vorübergehend die Amtsgeschäfte, bis ein neuer Bundespräsident gewählt ist.
"Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."
(Köhler in einem Interview des Deutschlandradio Kultur am 22. Mai)
Der 67-jährige Köhler war Kandidat von Union und FDP. Er war am 23. Mai 2004 erstmals zum Staatsoberhaupt gewählt und fünf Jahre später bestätigt worden.
Köhler hatte Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen begründet und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Später ließ er seine Äußerungen präzisieren. Ein Sprecher sagte in der vergangenen Woche, die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen.
Bundeskanzlerin Merkel hatte am Freitag über eine Sprecherin deutlich gemacht, dass sie als eines der Verfassungsorgane der Bundesrepublik zu den Äußerungen des Verfassungsorgans Bundespräsident keine Stellung nehmen werde.
Von Politik und Medien weitestgehend unbeachtet hatte Köhler bereits am 22. Mai im Deutschlandradio Kultur gesagt, Deutschland brauche einen Diskurs, wie in Afghanistan einerseits der zivile Aufbau machbar sei, und andererseits der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Truppen-Abzug entsprochen werden könne. Die Soldaten kämpften dort für die Sicherheit in Deutschland auf der Basis eines UN-Mandats. Dann folgte seine umstrittene Äußerung (siehe Kasten).
Als Nachfolger ist unter anderem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Gespräch, der sich schon einmal Hoffnung auf das Präsidialamt gemacht hatte. Allerdings war er zuletzt gesundheitlich stark angeschlagen. Zu hören waren auch die Namen des noch amtierenden nordrhein-westfälischen Regierungschefs Jürgen Rüttgers sowie von Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU). Außerdem werden aus Unionsreihen Bildungsministerin Annette Schavan und die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer genannt.
Die niedersächsische SPD schlug die nach einer Alkoholfahrt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurückgetretene Margot Käßmann vor. Auch die gegen Köhler unterlegene SPD-Kandidatin Gesine Schwan könnte zum Kandidatenkreis zählen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip