Das Flair von Karstadt: Filterkaffee und Römertopf

Investor Berggrün will die Karstadt-Warenhäuser "beleben und verjüngen". Karstadt gehört zu Deutschland – aber zu einem, das es nicht mehr gibt. Ein Ortsbesuch in der Filiale in Wismar.

Im Jahr 1881 hatte Rudolph Karstadt in Wismar sein erstes "Tuch-, Manufaktur- und Konfektionsgeschäft" eröffnet. Bild: dpa

Die Herbst-Winter-Ware ist da! Und das ist ja schon mal ein gutes Signal für die 45 Verkäuferinnen der Karstadt-Filiale in Wismar. Geschäftig schieben die Frauen Pappkartons umher, räumen Herrenpullover in die Regale, hängen braune Büstenhalter auf Bügel. Die Kartons - dass das Sortiment für die neue Saison überhaupt angekommen ist, das sind so die Hoffnungen, an denen sich die Mitarbeiter jetzt festhalten. Hinweise, dass das mit ihrer Arbeit schon alles irgendwie weitergehen wird.

Denn die Lage ist schlecht. Im Juni vergangenen Jahres hat der Karstadt-Konzern Insolvenz angemeldet, seither ist die Zukunft der landesweit rund 25.000 Beschäftigten unklar. Über den Insolvenzplan für Karstadt wird das Amtsgericht Essen am kommenden Freitag entscheiden. Die Richter wollen beschließen, ob der Milliardär Nicolas Berggruen den Konzern endgültig übernehmen kann, ob die Warenhauskette anderweitig verkauft wird oder gar ganz zerschlagen.

In Wismar guckt die Verkäuferin der Parfümerieabteilung von Karstadt gegen die Wand, sie zuckt mit den Schultern und sagt: "Wir wissen nicht, was passieren wird." Der Chef der Filiale ist seit Monaten krankgemeldet. Es heißt, dass er noch lange wegbleiben wird.

Investor Berggruen hat angekündigt, er wolle im Falle einer Übernahme die "Kultmarke Karstadt" wieder beleben und verjüngen. Aber ob das den Aufschwung bringen wird?

Sie lassen eigentlich keine Journalisten rein im Moment bei Karstadt. Und Beate Stadler, kommissarische Chefin der Wismarer Filiale, eine hagere 50-Jährige mit rauchiger Stimme, sitzt im Büro und will auf keinen Fall etwas Falsches sagen. Sie raunt dann aber: "Die Jungen kaufen auch keine Töpfe und Pfannen."

Sicher ist also nichts mehr bei Karstadt.

Und das bei einer Institution, die zumindest die Westdeutschen in den Fußgängerzonen jahrzehntelang so zuverlässig erwartet hat wie ein alter Bekannter. Von dem Schwall dicker, warmer Luft aufgesogen, fanden Kunden hier die gesammelten Annehmlichkeiten der Wohlstandsgesellschaft: die Parfümflakons! Die Pralinen! Die Weihnachtsdekoration!

Kinder lernten bei Karstadt Rolltreppe fahren, die Lautsprecherdurchsage "Bitte 268 zur 211" sollte fortan ihr Leben begleiten. Hier wurde die erste Barbie gekauft, der erste Scout-Schulranzen, das erste Leonardo-Glas. Es war die Welt der alten Bundesrepublik, zu der Karstadt so selbstverständlich gehörte wie Filterkaffee und Römertopf.

Damals waren Karstadt-Verkäuferinnen noch keine Verschiebemasse internationaler Investoren, keine verängstigten Arbeitskräfte einen Fuß breit entfernt vom Prekariat. Es waren großbusige Damen mit stabilen Frisuren und einem Selbstbewusstsein aus Beton. Ihre Brillen trugen sie an dünnen Ketten um den Hals, und wenn sie ihre Meinung über die Passform eines Herrenanzugs äußerten, dann hatte dieses Urteil Gewicht.

Gute Zeiten waren das für Karstadt. Als der Insolvenzverwalter noch nicht übernommen hatte. Als "Highstreet" und "Borletti" noch nicht Bieter meinten in einem undurchsichtigen Geschacher um den Konzern. Sondern allenfalls Begriffe waren wie jene Markennamen, die Hersteller auf Wäsche drucken lassen, um Kunden ein bisschen Weltläufigkeit zu suggerieren.

Im Jahr 1881 hatte Rudolph Karstadt in Wismar sein erstes "Tuch-, Manufaktur- und Konfektionsgeschäft" eröffnet. Rudolph Karstadt war damals erst 25 Jahre alt und seine Geschäftsidee bestand darin, den Zwischenhandel auszuschalten und Einkaufen dadurch günstiger zu machen. Zudem führte er feste Preise ein, wo es vorher üblich gewesen war, um den Wert einer Ware zu feilschen. "Wir hatten es am Anfang nicht leicht gehabt. Die ganze kleine Hafenstadt schüttelte über das neumodische System der Karstadts die Köpfe. Freilich, wir waren billiger als die anderen - dafür musste man bei uns aber auch gleich bezahlen", erinnerte sich Rudolph Karstadt Jahre später in einem Interview, da besaß er bereits zwanzig Kaufhäuser deutschlandweit.

Als nach der Wende Karstadt das alte Jugendstil-Gebäude in Wismar wieder übernahm, das zu DDR-Zeiten zu einem HO-Markt umfunktioniert war, schien hier zumindest für einen kurzen Moment die glamouröse Zeit der Kaufhäuser wieder aufzuleuchten. Die Fassade wurde renoviert, das verschnörkelte Treppengeländer gestrichen, und natürlich brach auch hier das westliche Überangebot herein. "Zu DDR-Zeiten hatten wir nur etwa zehn Düfte zur Auswahl", sagt die 54-jährige Parfümerieverkäuferin Erika Hilse. "Aber als wir dann wieder Karstadt waren, kamen im Beauty-Bereich plötzlich hunderte Parfüms ins Sortiment. Das war toll! Wir hatten da ja auch alle Nachholbedarf." Hilse ist eine robuste Frau mit Kurzhaarfrisur. Es ist klar, ihre Chefin hat sie hierher ins Büro geholt, damit sie etwas Positives erzählt. Dennoch klingt es in Hilses Sätzen tatsächlich an: das Flair vom "Paradies der Damen", wie der französische Romancier Émile Zola die Warenhäuser in Paris Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben hat.

In Westdeutschland hatte sich das Mondäne der Kaufhäuser schon vor der Wiedervereinigung verloren. Die Gebäude waren zu Furcht erregenden Klötzen gealtert, drinnen waren sie zu Orten der Durchschnittlichkeit verkommen. Die Bedürfnisse einer individualisierten Gesellschaft vermochten sie immer weniger zu treffen.

Zudem hatten andere begonnen, im Segment des traditionellen Kaufhauses zu wildern: Die Kaffeefirma Tchibo führte plötzlich Outdoor-Jacken, die Möbelhandlung Ikea auf einmal Handtücher. Die neuen Anbieter wirkten ungezwungener und mutiger. Irgendwie hatte sich das Kaufhaus über die Jahre zu einer Art spießigen Schwiegermutter unter den Einkaufsmöglichkeiten entwickelt. Einige Häuser wie Horten und Hertie gingen pleite. Und der Chef des Metro-Konzerns, zu dem Galeria-Kaufhof gehört, erklärte zuletzt Anfang dieses Monats, es sei am deutschen Markt allenfalls Platz für eine Kaufhauskette.

Denn inzwischen schieben sich die Menschen vor allem durch Shopping-Malls, jene unübersichtlichen Schläuche, deren Filialen auch nur Durchschnitt bieten, aber eben in ausdifferenzierter Form. Der Nonkonformist kann hier bei H&M seine Lederjacke erstehen, die Rentnerin ihre Schokolade bei Hussel, die Studentin ihr Mobiltelefon in der Media-Markt-Filiale. Zwischen den Regalen stehen gesichtslose Mädchen, die hinter ihrem Sortiment verschwinden. Die alten Karstadt-Verkäuferinnen sind nicht mehr anzutreffen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass uns ihr matronenhaftes Wesen irgendwann auch auf die Nerven gefallen war.

In Wismar ist die nächste Shopping-Mall weit weg. Diesbezüglich scheint die Welt hier wenigstens noch in Ordnung. Es wurden mehrere ortsansässige Teenager gesichtet, die Ohrringe erwarben, eine Unternehmerin aus Hessen hat zwei Bratpfannen gekauft, und was die Busladung Senioren aus Oldenburg in die Knopfabteilung verschlug, konnte nie vollständig geklärt werden.

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