Rinderkrankheit Botulismus: Rinder sterben, Regierung wartet ab

Auch in ihrem neuen Bericht bestreitet die schleswig-holsteinische Landesregierung, dass chronischer Botulismus auf Menschen übergehen kann - trotz ärztlicher Diagnosen, die genau das behaupten.

In Schleswig-Holstein sind wahrscheinlich mehr Rinder an chronischem Botulismus erkrankt, als offiziell zugegeben wird . Bild: dpa

HAMBURG taz | Ein Bericht der schleswig-holsteinischen Landesregierung über die Auswirkungen von chronischem Botulismus hat eine erneute Diskussion über die Gefahr für Rinder und auch für Menschen ausgelöst.

"Das war eine unbefriedigende Vorstellung. Es wurde nur über Diagnostik und Laborforschungen geredet. Aber keinen interessiert, was in den Betrieben selber passiert", sagte Kirsten Wosnitza vom Milchviehhalter-Verband BDM. Chronischer Botulismus führt unter anderem zu Lähmungserscheinungen, die erkrankten Tiere sterben.

Staatssekretär Ernst-Wilhelm Rabius (CDU) hatte den Bericht am Mittwoch im Umweltausschuss vorgestellt und erklärt, chronischer Botulismus sei bei Rindern ein "ernst zu nehmendes Problem". Aufgrund der unklaren Krankheitsbilder sei die Diagnostik schwierig, auch die Übertragungswege seien noch nicht erforscht.

Zur Gefahr einer Erkrankung von Menschen sagte Rabius dem NDR, dass "keine Hinweise bekannt sind, dass sich Menschen infizieren können". Lothar Hay, der agrarpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, sieht das ganz anders. "Die Gefahr für Menschen ist medizinisch erwiesen. Es wundert mich, dass das Gesundheitsministerium am Mittwoch nicht mit am Tisch saß", sagte er.

Bei der Rinderkrankheit Botulismus wird zwischen akutem und chronischem Botulismus unterschieden.

Der akute Botulismus ist eine Vergiftung, die sowohl für Rinder als auch für Menschen lebensbedrohlich sein kann. Die Erkrankung tritt unvermittelt auf. Menschen infizieren sich meist durch verdorbenes Fleisch.

Der umstrittene chronische (viszerale) Botulismus verläuft aufgrund geringerer Giftmengen schleichend. Betroffene Tiere zeigen Symptome wie Abmagerung, Lähmungen und Koordinationsverlust.

Die Patienten, bei denen chronischer Botulismus diagnostiziert wurde, hatten engen Kontakt zu den Rindern. Wie sie das Toxin aufgenommen haben, ist noch nicht erforscht.

Der Neurologe Dirk Dressler von der Medizinischen Hochschule Hannover hat erklärt, chronischen Botulismus bei Menschen festgestellt zu haben. "Ich habe bereits bei etwa 15 Landwirten eine generalisierte, chronische Botulinum-Intoxikation diagnostiziert", sagte Dressler.

Nur die Art und Weise der Krankheitsübertragung sei ihm nicht bekannt. Auch das Zentrum für Infektionsmedizin der Universität Leipzig glaubt an chronischen Botulismus beim Menschen. Seine Wissenschaftler hatten Stuhlproben von erkrankten Patienten untersucht.

Im Botulismus-Bericht der Landesregierung heißt es, dass sich lediglich in 61 der 8.900 Betriebe in Schleswig-Holstein Rinder infiziert hätten. Diese Zahl beruht jedoch nur auf den gestellten Impfanträgen.

Die Dunkelziffer der infizierten Rinder und auch Menschen ist vermutlich wesentlich höher, da chronischer Botulismus keine meldepflichtige Krankheit ist. Neurologe Dressler befürchtet, dass bereits "etwa 200 Betriebe betroffen" sind.

Die taz berichtete über den Fall der Brüder Strohsahl aus dem Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein. Ihre Milchkühe hatten sich mit chronischem Botulismus angesteckt. Über tausend Rinder verendeten qualvoll. Die Krankheit ging auch auf die Brüder über.

Sie hatten mit Lähmungserscheinungen, Muskelabbau, Magenschmerzen und Lichtempfindlichkeit zu kämpfen und mussten stationär in einem Krankenhaus behandelt werden.

Die Strohsahls mussten den Hof verkaufen, den ihr Vater vor 40 Jahren gegründet hatte. Eine Entschädigung bekamen sie nicht - chronischer Botulismus ist nicht meldepflichtig und damit nicht als Seuche anerkannt. Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat das Schicksal der Strohsahls als "Einzelfall" bezeichnet.

SPD-Politiker Hay ärgert sich, dass chronischer Botulismus erst in den letzten Wochen verstärkt thematisiert wurde: "Es ist viel zu viel Zeit verstrichen. Das Problem ist ja bereits seit einigen Jahren bekannt", sagt er. "Nun muss es darum gehen, dass schnell und zügig, unbegrenzt von Geld und Aufwand, Schwung in die Sache gebracht wird."

Derzeit sieht es danach nicht aus. Die Landesregierung hat erklärt, erst noch auf den Forschungsbericht des Friedrich-Löffler-Instituts für Tiergesundheit warten zu wollen. Das Institut will die Ergebnisse vermutlich im Herbst vorlegen. Bis dahin sind keine weiteren Schritte geplant.

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