Kolumne Knapp überm Boulevard: Ich, ich, ich!

Der Narzissmus ist auf dem Siegeszug. Sein Idealtypus: Das politisch korrekte Kind. Kleine Tugendterroristen verstehen überhaupt keinen Spaß.

Meine Zahnärztin erzählte mir neulich, wie sie nach fünfmonatiger solidarischer Abstinenz ein kleines Stückchen Fisch gegessen hat – worauf sich ihre vegetarische Tochter empörte: Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren? Das erinnerte mich sofort an Peter Unfrieds neues Buch.

Vor allem an das Kapitel „Die vegetarische Verschärfung“, wo er beschreibt, wie seine Tochter zur militanten Vegetarierin wurde. Mich interessiert daran weniger das Vegetarische als vielmehr die Militanz dieser Kids. Die Militanz, mit der sie ihren Eltern aufzwingen, nur hinter Sichtschutz Fleisch zu essen (bei Unfrieds) oder sie durch den Trick mit dem schlechten Gewissen überhaupt zum Lustverzicht nötigen (bei der Zahnärztin).

Das Besondere an dieser Militanz ist die Verabschiedung des guten alten Über-Ichs, bei dem die Eltern noch Stimme und Instanz der Moral waren. Und das ganze Gerede von wegen Kinder brauchen Grenzen und Regeln – völlig verkehrt.

Um zu verstehen, wie es zu dieser Verkehrung kam, lohnt es sich, den neuen Essay von Thomas Edlinger und Matthias Dusini zur Political Correctness („In Anführungszeichen“) zu lesen. Dort wird der Siegeszug des Narzissmus beschrieben. Die Selbstliebe ist nicht nur zur grundlegenden gesellschaftlichen Verkehrsform geworden, sie hat sich auch einen neuen Prototyp, eine Idealfigur erkoren: das Kind. Dieses ist vom unfertigen Menschen zum Ich-Ideal des Narzissten, zu dessen idealem Selbstbild geworden. Mit Freud sprechen Edlinger/Dusini von der „Inthronisierung“ des Kindes. Und als diese Prototypen, zu denen wir sie gemacht haben, treten sie uns nun entgegen.

Selbstliebe als Verkehrsform

In diesem Idealbild stellt sich der narzisstische Zeitgenosse als moralisches, als politisch korrektes Wesen vor. Psychopolitisch ist das eine total interessante Verschiebung – wird doch das Ich-Ideal zum Träger der Moral und nicht mehr das Über-Ich. Weshalb diese Moral auch nicht mehr als Verbot durch eine äußere Autorität auftritt. Diese PC-Moral funktioniert dadurch, dass die Menschen alles, „die Ausschreibeverfahren von Bahnhöfen und das Schmelzen des Polareises“ oder, wie es bei Unfried heißt, „die Tierhaltung und die Verschärfung der Klimakrise durch den globalen Fleischverzehr“ – dadurch also, dass sie das ganze Weltgeschehen „auf sich beziehen“.

Genau das macht diese PC-Moral zum narzisstischen Ideal. Wenn nun diese Moral eine Symbiose mit dem narzisstischen Idealtypus, dem Kind, dem Jugendlichen, eingeht, dann ist dies eine maximale Verdichtung heutigen In-der-Gesellschaft-Seins.

Von daher rührt auch die Militanz der kleinen Tugendterroristen (das Wort ist von Peter Unfried). Während Eltern – selbst politisch korrekte, sogar vegetarische – noch eine gewisse Distanz zu den PC-Regeln haben (im besten Fall), eine ironische Distanz, so gibt es diese für PC-Kids nicht. Umweltbewusste PC-Kids verstehen keinen Spaß, wenn es um Mülltrennung oder um Vegetarismus geht. Denn damit befolgen sie ja keine Befehle des Über-Ichs, da ist keine verinnerlichte elterliche Autorität, die sie antreibt – nein, es ist die absolute Notwendigkeit, das ideale Selbstbild zu erfüllen: Nur so lässt sich der narzisstische Selbstbezug aufrechterhalten.

Da stehen sie dann vor ihren verdutzten Eltern, kontrollieren den Papiermüll und verbieten ihnen den Fleischkonsum. Mit fiesen Tricks. Wir bekommen da nur unsere Botschaft in umgekehrter Form zurück. Die inthronisierten Kids zeigen glasklar: Eltern brauchen Regeln. Peter Unfried hat vollkommen recht: „Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.