Choreograf Rolf Hamnes über Tanz in Schulen: "Wir kriegen einiges um die Ohren"

Seit 15 Jahren versucht das Tanzwerk Bremen, zeitgenössischen Tanz in allgemein bildende Schulen zu bringen. Ein Gespräch über Bewegungslust, Finanzierungsfrust, Coolness und Jubelsprünge.

Präzise Mädchen: Aufführung der Schulproduktion "Alice in Digiland". Bild: Norbert Müller

taz: Herr Hammes, was lernen SchülerInnen im zeitgenössischen Tanz, das sie woanders nicht lernen?

Rolf Hammes: Tanz ist die ursprünglichste Kommunikations- und Ausdrucksform, es ist mehr als Bespaßung oder ein reines Sportangebot. Tanz in seiner zeitgenössischen Ausprägung fordert kognitiv, emotional und physisch. Auch das Miteinander einer Klasse wird dabei auf eine ganz spezielle Art gefördert.

Und haben die SchülerInnen auch Lust dazu?

Das muss sich natürlich entwickeln. Als erste Frage kommt immer: „Macht Ihr HipHop?“ Nein. Ballett auch nicht. Zeitgenössischer Tanz ist schlicht und einfach etwas, das die Schüler in aller Regel nicht kennen. Theaterangebote gibt es vergleichsweise viele, Tanz hingegen ist an Schulen immer noch mager vertreten. Es ist ja nicht nur für die SchülerInnen neu und ungewohnt, sondern ebenso für viele Erwachsene. Deswegen bieten wir auch Fortbildungen an. Sowohl für LehrerInnen, als auch für Choreografen, die es bislang nicht gewohnt sind, mit SchülerInnen zu arbeiten. Neben bildender Kunst, Musik und darstellendem Spiel sollte Tanz selbstverständlicher Teil der ästhetischen Bildung sein.

In welcher Form arbeiten Sie an Schulen?

Angefangen haben wir vor 15 Jahren mit „Whirlschool“, einem offenen Format, in dem Schulklassen innerhalb von drei Monaten kleine Bühnenstücke entwickeln. In einigen Schulen haben wir es mittlerweile geschafft, zeitgenössischen Tanz dauerhaft zu integrieren. Die Bremer Oberschule Kurt-Schumacher-Allee beispielsweise definiert Tanz seit 2009 als festen Bestandteil des Schulprofils. Dort entstehen laufend Bühnenprojekte und Tanzfilme, die sich zum Teil explizit auf die Themen des Zentralabiturs beziehen.

Fühlen sich Oberstufen-Schüler nicht viel zu cool zum Tanzen?

Schon, da gibt es die vergleichsweise geringste Bereitschaft – aber wenn sie mitmachen, sind sie um so anspruchsvoller. So, wie bei „Frauenbilder-Männerbilder“, das wir als fächerübergreifendes Projekt an der Schule am Leibnizplatz gemacht haben. Am wenigsten Berührungsängste haben die Jüngeren, also bis zur vierten oder fünften Klasse. Zwischen der sechsten und neunten Klasse trifft man zunächst oft auf eine Verweigerungshaltung. Das ist eine herausfordernde Phase, wo wir schon einiges um die Ohren kriegen.

Wie gehen Sie damit um?

Das muss dann auf der emotionalen und physischen Ebene funktionieren: Kopf abschalten, die Schüler reinholen. Mittlerweile haben wir natürlich auch unsererseits Berührungsängste abgebaut – aus dem Kunsttempel in die Tiefen der Realität zu treten, ist schon ein Schritt.

arbeitet als Tänzer und Choreograf mit besonderer Vorliebe für Improvisation. Er ist künstlerischer Leiter des von ihm mit gegründeten Tanzwerk Bremen.

Stellen Sie bei Ihrer Arbeit Gender-Unterschiede fest?

Bei Jungs funktioniert Kämpfen gut. Also Capoeira-Sachen oder sportliche Themen wie Jubelsprünge und andere Fußball-Posen. Bei Mädchen ist das ganz anders: Da gibt es Möglichkeiten, über die MTV-Erfahrung Bewegungsmaterial zu entwickeln, auch Jazzdance ist zum Teil präsent. Wobei das natürlich Bewegungs-Klischees beinhaltet, von denen man sich dann wieder befreien muss. Es gibt auch den Unterschied, dass Jungs zwar Bewegungs-Ideen haben, aber ungern üben. Präzise Choreografien, die wiederholbar sind, sind eher eine Qualität von Mädchen.

Mädchen sind fleißiger, Jungs kreativer?

Das klingt natürlich klischeehaft, entspricht tendenziell aber unseren Erfahrungen beim Tanzen.

Geschlechtsübergreifend sind vermutlich zumindest die Hemmungen, sich in dieser ungewohnten Weise den MitschülerInnen zu präsentieren.

Dabei hilft aber der von uns aufgebaute Rahmen: Wenn die Kesselhalle des Bremer Schlachthofs bis zum letzten Platz gefüllt ist, weil zwölf Klassen ihre Stücke aufführen, ist das für alle ein beeindruckendes Erlebnis. Mit richtigem Licht und ordentlichem Ton auf einer großen Bühne zu agieren, wirkt für die Aufführenden meistens schon als Flash.

Kann nicht gerade dieser große Rahmen nach hinten losgehen? Überforderung, zu heftiges Lampenfieber?

Natürlich haben die Schüler davor Respekt, was ja auch gut ist. Aber wir dosieren das schon so, dass keiner umkippt. Und wenn einer einen kleinen Schubs braucht, um sich auf die Bühne zu trauen, dann ist das im Ergebnis ein Schubs auf eine große warme Wolke. Es ist wirklich toll zu erleben, wie Schüler nach so einer Aufführung plötzlich einen halben Meter größer sind.

Und wer sich trotzdem nicht traut und es peinlich findet, sich zu exponieren?

Für den finden wir eine Betätigung im Bereich der Technik. Oder beim Schreiben. Oder einen Videojob. Aber die allermeisten gehen auf die Bühne.

Mittlerweile haben Sie mit rund 200 Schulklassen gearbeitet. Sind Sie auch schon mal mit einem Projekt gescheitert, weil die SchülerInnen partout nicht wollten?

Abgesagt haben wir bislang noch nichts – aber drei oder vier Mal waren wir kurz davor, die vorgesehene Präsentation zu kippen. Wenn es zu doll knirscht, muss man sich eben etwas überlegen! Bis jetzt haben wir zum Glück immer die Biege gekriegt.

Wie groß ist die Nachfrage nach Ihren Angeboten?

Je mehr wir machen, desto mehr Nachfrage gibt es. Derzeit arbeiten wir pro Jahr mit etwas über 20 Schulen zusammen. Der Bedarf nach mehr ist eindeutig da, auch im Zuge des Ganztagsschul-Ausbaus. Wir könnten pro Jahr vermutlich mit 50 Schulen kooperieren, wenn wir dazu die Kapazitäten hätten. Viele Schulleitungen würden uns gern strukturell dauerhaft einbinden, wozu aber momentan noch die finanziellen Mittel fehlen.

Als Sie vor 15 Jahren begannen, Tanz in die Schulen zu bringen, waren Sie republikweit Vorreiter. Wie ist die Situation heute?

Es hat sich einiges getan, am augenfälligsten natürlich mit „Rhythm is it“, dem großen Projekt von Simon Rattle, Royston Maldoom und den Berliner Philharmonikern 2004. Die Gefahr bei diesen Riesengeschichten ist allerdings, dass darüber die alltägliche Arbeit in den Schulen in den Hintergrund tritt. Aber nur die ist nachhaltig.

Wie wird Ihre Arbeit finanziert?

Am wenigstens vom Bildungsressort, obwohl das ja zuständig wäre. Am Anfang gab es ein bisschen, aber momentan sind wir ganz bildungsbehördenfrei. Statt dessen gibt die Kultur etwas, aber auch Sponsoren und die Schulen. Und wir zwacken es uns selbst ab – weil wir es wichtig finden.

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