Singen und Glauben: Stern über Wedding

Sie bringen den Segen, Weihrauch und Kirchenhits: Unterwegs mit acht Heiligen Drei Königen der katholischen Kirche auf ihrer Tour durch Wedding.

Junge Musiker auf wichtiger Mission: Sternsinger unterwegs zum nächsten Gig. Bild: dpa

Säkular betrachtet ist es ein ausgesprochen hässlicher Sonntagmorgen in Wedding. Statt eines Himmels hängt über der Stadt ein graues Brett. Die Straßen sind bedeckt mit einem Kieselteppich, den der Winterdienst hinterlassen hat, als es hier noch schneite und nicht bloß stumpf nieselte. Kaum jemand ist unterwegs, nur zwei Reisende warten an der Tankstelle auf ihre Mitfahrgelegenheit.

Die Tristesse nimmt ein Ende, als die Heiligen Drei Könige um die Ecke biegen: eine Kinderdelegation in leuchtenden Roben aus Brokat und Samt, eingehüllt in eine Wolke aus Weihrauch, auf den Köpfen goldene Plastikkronen. Die Kleinen sind als Sternsinger unterwegs, zu acht, weshalb es gleich mehrere Kaspars, Melchiors und Balthasars in der Gruppe gibt.

Entsandt von der katholischen Gemeinde St. Joseph ziehen sie durch den Kiez, um den Anwohnern den Hit „Stern über Bethlehem“ vorzusingen und den Segen zu bringen. Und wie es die katholische Tradition will, auch um Geld einzusammeln. „Für die Kinder in Tansania“, sagt die zehnjährige Vanessa, eine der Balthasars.

Vanessa selbst wurde in Malawi geboren, einem der Nachbarstaaten Tansanias. Mit ihren Eltern kam sie vor drei Jahren nach Deutschland. Es spricht für die Gemeinde St. Joseph, dass niemand auf die Idee kam, Vanessa wegen ihrer Herkunft die Rolle des Melchiors aufzutragen. Seit dem 9. Jahrhundert gilt vorrangig er als der „schwarze König“ im edlen Trio. Die Rollenbesetzung im Wedding folgt unterdessen anderen Kriterien: „Es ist gut, wenn die Melchiors alle auf einer Route wohnen, wenn man sie zum Proben abholt“, sagt der Gemeindevorsteher Bodo Borkenhagen, der die Kinder zusammen mit einigen Eltern auf ihrer Tour begleitet.

Ohnehin zeichnet sich die ganze Aktion durch einen gewissen Pragmatismus aus. Denn die Sternsinger kommen nur dann vorbei, wenn man sie zu sich eingeladen hat. Wie Maria Wisniewska, eine schicke, alleinstehende Frau mittleren Alters. Und so drängen sich acht Könige samt Entourage in ihrem Wohnzimmer, ordentlich aufgereiht vor dem gläsernen Couchtisch. Philine, 10, alias Balthasar, lässt den Weihrauchschwenker kreisen und nebelt in kürzester Zeit den Raum ein. Die ersten Kinder gähnen ob des Sauerstoffmangels, fangen sich aber sofort wieder und geben mit hellen Stimmen den „Stern über Bethlehem“ zum Besten. Eine Mutter begleitet sie dazu auf der Gitarre. Frau Wisniewska strahlt, macht Bilder mit ihrer Digitalkamera und verteilt zur Freude der jungen Musiker Süßigkeiten. Draußen mag ein hässlicher Tag sein, doch hier drinnen haben sie alle Spaß.

Elf Wohnungen klappern die Sternsinger im Laufe des Tages ab. Sie haben ein Plakat dabei, auf dem sie Informationen zu Tansania gesammelt haben. Im Vorfeld hatten sie sich gemeinsam Filme über das Land angeschaut. Der fünfjährige Tobias ist nun so etwas wie der Malariaspezialist der Gruppe: „Wenn so eine lästige Moskitomücke dich sticht, kann das tödlich sein“, erklärt er in jedem Haushalt. Auch als die Sternsinger bei den „Weißen Vätern“ einkehren, einer Ordensgemeinschaft von Afrikamissionaren. 30 Jahre lang waren die Männer unter anderem in Uganda und Ghana unterwegs. Nun sind sie alt, leben in Berlin und empfinden das als den eigentlichen Kulturschock ihres Lebens.

Auch den Kindern verrutschen nach einer Weile die Länder, Lieder und Bezüge. Die Sternsinger schreiten gerade die Willdenowstraße ab, der Größe nach aufgereiht, als Vanessa statt des Bethlehemsongs plötzlich die deutsche Nationalhymne anstimmt. Ein paar Takte lang singen alle zusammen von Einigkeit und Recht und Freiheit, bis sie beschließen, dass sie hungrig sind und es Zeit für eine Pause ist.

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