Der Fortsetzungsroman: Kapitel 8: Ein kühles Blondes

Was bisher geschah: DIE LUST treibt Leena mitten in der U7 in einen veritablen Lachkrampf. Ein mitleidsarmer Zeitgenosse filmt. Na danke.

Im Biergarten berichtet Leena Nuray von ihrer Lust. Bild: ap

Hol mich ab!“, bat Leena, noch immer atemlos, in ihr Telefon. „Bitte.“

„Was? Was ist passiert?“ Nuray klang besorgt.

„Die U-Bahn“, antwortete Leena. „Ich bin völlig fertig.“ Ein Kichern blubberte ihren Hals hoch wie das letzte Kohlensäureperlchen den einer leergeschüttelten Wasserflasche.

„Ist alles in Ordnung? Du klingst irgendwie komisch.“

„Nee, keine Sorge, mir geht‘s gut, sehr gut sogar. Ich – ich wollt es nur mit dir …“ Noch ein Perlchen.

„Leena“, sagte Nuray am anderen Ende der Leitung. „Du musst jetzt ehrlich zu mir sein: Hast du was genommen?“

„Ich?“ Leena lächelte ihre Füße an. Der plötzliche Sommerausbruch stand ihnen ausgezeichnet.

„Okay, beweg dich nicht von der Stelle“, befahl Nuray. „Wo bist du?“

Sie gaben sich größte Mühe, die Kinder zu ignorieren, die den Biergarten bevölkerten. Neben ihnen flossen die stillgelegten Gleise. Nuray streckte die Beine in das wohlige Schweigen, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, nachdem Leena ihr von dem Überfall DER LUST erzählt und bei dieser Gelegenheit gleich gebeichtet hatte, das dieses Ding bereits seit einigen Wochen ihre Wohnung besetzt hielt. Ihre Wohnung und offensichtlich auch jeden anderen Ort, an dem Leena sich befand.

„Könnte schlimmer sein“, hatte Nuray zu Bedenken gegeben. „Stell dir vor, DER HASS hätte sich bei dir eingenistet. Oder DIE LANGEWEILE.“

Mit Nuray zusammen und ohne die Einmischung DER LUST machte Lachen noch mehr Spaß.

„Willst du noch was trinken?“, unterbrach Nuray ihre Gedanken.

„Ja“, antwortete Leena träge. „Ein Bier wär schön. Ein kleines Blondes.“

„Das heißt ’ein kühles Blondes‘ “, verbesserte ihre beste Freundin. „Aber woher sollst du das wissen, du trinkst ja kein Bier.“

„Tu ich nicht?“

„Tust du nicht. Seit ich dich kenne jedenfalls.“

„Mir ist so.“ Leena schlüpfte aus den Schuhen und grub ihre Sommerfüße in den weichen Sand.

„Dir ist …?“

Leena hm-hmte.

Nuray zog hörbar die Luft durch die Vanessa-Paradis-Lücke zwischen ihren Schneidezähnen. „Okay, ein Bier. Kühl und blond.“ Achselzuckend verschwand sie in Richtung des kleinen Wohnwagens, in dem die Außenbar untergebracht war. Leena kramte in ihrer grünen Umhängetasche und zog ihr Tablet hervor. Sie rief die Lust-Tabelle auf, übersprang die bereits ausgefüllten Spalten „Was?“ (Lachen), „Wer?“ (Die Bedienung) und „Wieso?“ (Glückshormone) und tippte ein paar Stichworte in Spalte vier, „Selbsttest“.

Ich hab mich selten so geschämt. Aber rückblickend: Es war mir noch nie so egal. Also … am Ende.

Spalte fünf, „Fazit“:

Macht Lust auf mehr. Umsetzbarkeit? Zu Hause versuchen. Oder notfalls doch zum Lach-Club. Oder: Kiffen!, notierte sie und sah zu Nuray hinüber, die die Wartezeit am Tresen nutzte und hochkonzentriert auf einem Bein balancierte. Es sah verdächtig nach Yoga aus.

Die Kinder, die sich zur Freude ihrer Eltern zu einer Horde zusammengerottet hatten, ahmten sie kreischend nach. Nuray ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Vom Angestarrt-Werden stirbt man nicht, fügte Leena dem Fazit hinzu, vergab ihre Punkte (8) in Spalte sechs und sah ihrer Freundin dabei zu, wie sie mit den beiden erjagten Pils um die Kinder herumtänzelte und lächelnd auf ihren Platz unter den Weiden zusteuerte.

Sie drückte Leena eins der Gläser in die Hand, stieß mit ihr an und nahm einen langen Schluck. Dann wischte sie sich genüsslich den Schaum vom Mund. „Warum macht die dir eigentlich so eine Angst, DIE LUST?“, fragte sie.

„Angst? Quatsch. Ich find das echt ein spannendes Thema.“

„Thema“, echote Nuray. Sie kicherte.

„Und überhaupt: Stell dir mal vor, du hättest plötzlich so ein … Ding, das überall auftaucht und dich nach Lust und Laune schikaniert.“

„Lust und Laune!“ Nuray lachte.

„Nicht witzig“, grummelte Leena. Der Weichzeichner, der sie seit ihrem U-Bahn-Erlebnis umwabert hatte, verflüchtigte sich und die Welt zeigte wieder ihre gewohnt gnadenlosen Konturen. Leena sah auf das Bier in ihrer Hand. „Was hab ich mir nur dabei gedacht? Ich hasse Bier!“

Nurays Lachen ging in Schluckauf über. „Und?“, fragte sie zwischen zwei Hicksern. „Wie geht’s jetzt weiter?“

Leena spürte einen bedauernden Stich im Bauch, als ihr Kopf wieder ansprang. Recht hat sie, dachte sie. Ich bin schließlich nicht zum Spaß hier. Die Liste gehörte abgehakt. Je schneller, desto besser. „Hast du heute noch was vor?“

„Ich bin nachher verabredet.“

„Sag ab.“

„Wieso?“

Leena legte den Kopf in den Nacken, hielt sich die Nase zu und leerte das halbe Glas. Sie verzog angeekelt das Gesicht. „Weil wir uns jetzt betrinken.

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