Hochzeit im Gezi-Park verhindert: Die Braut trug Schutzhelm

Weil ihre Liebe während der Proteste im Istanbuler Gezi-Park entflammt war, wollte ein Paar dort auch heiraten. Die Polizei warf allerdings nicht mit Reis.

„Lang lebe der Widerstand, lang lebe die Liebe“: das Brautpaar Nuray Cokol (l.) und Ozgur Kaya. Bild: rtr

ISTANBUL taz | Es begann als wunderbare Party und endete unter dem Beschuss von Wasserwerfern und dem Einsatz von Polizeiknüppeln. Zwei junge Leute, die sich während der Proteste im Besetzercamp im Gezi-Park kennen und lieben gelernt hatten, wollten ihre Hochzeitsparty in eben jenem Gezi-Park feiern.

Zunächst lief alles wie gehofft. Zusammen mit Freunden und Bekannten wurde getanzt und gelacht; das Brautpaar, wie auch viele Gäste, hatten sich mit Protest - Accessoires dekoriert. So trug die Braut unter dem Schleier eine Gasmaske und der Bräutigam einen roten Bauhelm, wie ihn viele als Schutz vor Polizeiknüppeln getragen hatten.

Doch als die Hochzeitsgesellschaft begann, lautstark auch die Slogans der Protestwochen anzustimmen, sah die am Rande des Parks stationierte Polizei dies als Aufforderung, aktiv zu werden. Wie bei allen anderen Protestversuchen rund um den Gezi-Park und den Taksim-Platz in den letzten Wochen auch, wurde nach kurzer Aufforderung, den Park zu räumen, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt.

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Die flüchtenden Hochzeitsgäste wurden bis in die Istiklal Caddesi, die angrenzende Fußgängerzone verfolgt, wo dann auch tausende Touristen und Spaziergänger den Wasserwerfern ausgeliefert waren. Nach Angaben von Betroffenen, setzte die Polizei teilweise wieder mit ätzenden Chemikalien versetztes Wasser in ihren Wasserwerfern ein, was zu Atemnot und Hautverbrennungen führt.

Durch den massiven Polizeieinsatz waren erneut den gesamten Samstagabend über der Taksim-Platz und das angrenzende Vergnügungszentrum der Stadt nahezu unbegehbar. Alle Besucher flüchteten in die Seitengassen und versuchten sich in Sicherheit zu bringen. Wieder gab es Verletzte und Festnahmen.

Wie verschiedene Menschenrechtsorganisationen berichteten, sind von den tausenden Festgenommenen der letzten Wochen ungefähr 150 Leute nach wie vor in Haft. Die meisten Anklagen lauten von Aufruf zu öffentlichem Aufruhr, über Widerstand gegen die Staatsgewalt bis hin zu Mitgliedschaft oder Bildung einer terroristischen Organisation. Ein italienischer Fotograf, der fast zehn Tage im Gefängnis festgehalten worden war, wurde mit einer Anklage konfrontiert, in der der Staatsanwalt sieben Jahre Haft fordert. Viele Festnahmen erfolgten aber nicht nur unmittelbar bei Protestaktionen sondern bei großangelegten Polizeirazzien in den letzten Wochen.

Gegen die Polizei wird kaum ermittelt

Etliche Frauen berichteten nach ihrer Freilassung, dass sie während ihrer Festnahmen und der anschließenden U-Haft von Polizisten sexuell belästigt worden sind. So sagte die Vorsitzende der Architektenkammer Mücella Yapici, die mit 11 anderen führenden Vertretern der Taksim-Plattform verhaftet worden war, sie hätte sich nackt ausziehen müssen und sei in demütigender Weise begrabscht worden. Auch zwei linke Journalistinnen, Derya Oktan und Arzu Demir, berichteten von polizeilichen Übergriffen nach ihrer Festnahme.

Im Gegensatz zu der Hetzjagd auf Gezi-Park-Demonstranten kommen die Ermittlungen wegen des Todes von fünf Demonstranten nicht voran. Selbst im Falle des erschossenen Studenten Ethem Sarisüskük in Ankara, wo auf einem Video der schießende Polizist klar zu erkennen ist, hat ein Gericht jetzt nur mit Mühe eine Anklage zugelassen, weil der Polizist sein „Recht auf Selbstverteidigung“ möglicherweise zu großzügig ausgelegt hat.

Nach einer neuen Umfrage für das bevorstehende Wahljahr in der Türkei, könnten die regierende AKP und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, für die brutalen Polizeieinsätze allerdings empfindlich abgestraft werden.

Das renommierteste Umfrageinstitut der Türkei, Sonar, hat jetzt Zahlen veröffentlicht, nach denen die AKP, gemessen an ihrem höchsten Wert in 2012, 9 Prozent Zustimmung verloren hat. Während im Sommer 2012 Erdogan noch auf 53 Prozent aller Wählerstimmen hoffen konnte, ist er jetzt auf 44 Prozent abgerutscht. Im kommenden Jahr werden im März zunächst Kommunalwahlen und im August dann Präsidentschaftswahlen stattfinden.

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