Studium in den Niederlanden: Persönlich, praxisnah und populär

Deutsche Studenten gehen gerne ins kleine Nachbarland – viele bleiben. Es locken die Nähe, gute Infrastruktur und ein straffer Studienplan.

Wirbt angestrengt für seine Uni: Student an der Kunsthochschule in Rotterdam. Bild: dpa

NIJMEGEN taz | Ein kleines, wendiges Land, das sind die Niederlande, mit einer Landessprache, die international bedeutungslos ist. Studenten zahlen in den Niederlanden Studiengebühren. Und doch liegen die niederländischen Universitäten und Fachhochschulen seit Jahren im Trend bei den Deutschen. Sie stehen auf Platz 2 der Hitliste für Auslandsstudien, knapp nach Österreich und weit vor Großbritannien. Woher kommt diese Anziehungskraft des kleinen Nachbarn?

„Eine neue Sprache lerne ich am besten, wenn ich in der Sprache studiere“, dachte Julia Dapper (22) aus Münster. Sie studiert nun seit drei Jahren Psychologie an der Radboud Universität in Nijmegen. Derzeit sitzt sie an ihrer Bachelor-Arbeit. Eine weitere Sprache lernen war für die Frau mit den springlebendigen Augen ein wichtiges Kriterium bei der Wahl ihres Studienorts. „Der allerwichtigste Grund war jedoch“, erzählt sie bei einem Treffen auf dem Campus, „dass niederländische Universitäten den Ruf haben, sehr gut organisiert zu sein.“

Auch Kommilitone Jan Waltereit (25) aus Düsseldorf entschied sich für den kurzen Sprung über die nahegelegene Grenze. „Wenn ich später zurückgehe, habe ich ein Auslandsstudium in BWL in der Tasche. Damit steche ich hoffentlich ein wenig heraus“, beschreibt er seine Motivation. Auch gefiel Jan am Tag der offenen Tür, dass die Uni Nijmegen gut ausgestattet ist.

Die Radboud-Universität: Hochhäuser und dreistöckige Flachbauten umgeben von Wald. Ein grüner Campus in der 160.000-Einwohner-Stadt an der Waal im Osten der Niederlande. Eine lebendige, eine überschaubare Studentenstadt. 121 Studiengänge, knapp 19.000 Studenten, darunter 1.600 Deutsche. Sie sind die größte Gruppe Ausländer. Insgesamt studieren rund 25.000 Deutsche in den Niederlanden.

Crashkurs für 1.000 Euro

„Die große Mehrheit der Deutschen folgt dem Studium auf Niederländisch, eine Minderheit studiert auf Englisch“, sagt Inge van Dijk. Sie leitet das International Office. Um schnell fit zu werden in Niederländisch, bietet die Uni Neulingen einen vierwöchigen Crashkurs an. Kosten: 1.000 Euro. Wer das erste Studienjahr erfolgreich abschließt, bekommt das Geld erstattet.

1. Österreich 27.550

2. Niederlande 23.831

3. Großbritannien 14.950

4. Schweiz 13.436

5. USA 9.458

6. Spanien 7.677

7. Frankreich 6.252

8. China 4.800

9. Schweden 4.000

10. Dänemark 3.001

Rang/Land/Studi-Zahl (2011)

Julia und Jan sprachen kein Wort Niederländisch, als sie sich für die Niederlande entschieden. „Der Sprachkurs war sehr intensiv, sechs bis acht Stunden pro Tag, plus Hausaufgaben. Da muss man motiviert sein“, ist Julias Bilanz. „Gleich nach dem Sprachkurs habe ich einen Einführungskurs gemacht. Ich war eine Woche rund um die Uhr mit einer Gruppe zusammen. Wir haben nur Niederländisch gesprochen.“ Der Sprung ins kalte Wasser.

Nach der hohen Dosis Landessprache waren die Lehrinhalte und Klausuren kein Problem mehr. „Sollte man im Unterricht doch einmal etwas verpassen“, so Julia, „dann findet man die Vorlesungen als Audiodatei im Internet. Auch die Powerpoint-Präsentationen stehen online.“ Julia freut sich über die neu erworbene Sprache, die ihr außerdem Zugang zu einem weiteren Arbeitsmarkt bietet.

Praxisnahe Lernmethode

Ein anderer bedeutender Grund, warum Ausländer gern in den Niederlanden studieren, ist das „problem based learning“. Das ist eine praxisnahe Lernmethode. Die Studenten bearbeiten Fragen und Aufgaben aus der Praxis. Sie suchen als Team Lösungen für gesellschaftliche Probleme. „Das geschieht sehr nahe an der Wirklichkeit, deswegen ist das Konzept so populär“, urteilt Inge van Dijk. „Die Studenten haben das Gefühl, dass das Studium reale Dinge berührt.“

Kleine Lerngruppen mit maximal 15 bis 20 Leute sind die Basisvoraussetzung für „problemorientiertes Lernen“. „Wir lernen in Arbeitsgruppen im Klassenverband mit ein oder zwei Tutoren“, erzählt Jan. „Wir probieren, die gestellten Probleme zu lösen mit Hilfe dessen, was wir in den Vorlesungen gelernt haben. Die Tutoren helfen uns dabei, Theorie in die Praxis umzusetzen.“ Jan findet das super.

„Persönliche Begleitung, kleine Gruppen, ein straff organisierter Unterricht“ nennt van Dijk als Gründe für deutsche Studenten, die Niederlande zu wählen. „Die Atmosphäre an der Uni ist offen und persönlich“, urteilt Julia. Der Unterricht hingegen ist straff organisiert. Mit Vorlesungen, Praktika, „Anwesenheitspflicht“, so van Dijk: „Im ersten Jahr haben die Studenten inhaltlich keine Wahl, sondern es sind alles Pflichtfächer.“

Damit ist das Studium noch verschulter als in Deutschland, mit einem festen Stundenplan im ersten Jahr. Außerdem werden Studenten von Anfang an getestet. Schafft jemand im ersten Jahr 40 der 60 möglichen Studienpunkte, geht es weiter. Gelingt das nicht, ist Schluss mit dem Studium. „Wir möchten“, so van Dijk, „dass Studenten im zweiten Jahr in einer guten Atmosphäre studieren mit motivierten Kommilitonen. Geht es von Anfang an locker zu, fallen viel mehr Leute durch.“

Bereits seit 1985 lehren die meisten Hochschulen und Fachhochschulen in den Niederlanden nach dem Konzept „problemorientiertes Lernen“. 14 Universitäten zählt das Königreich sowie rund 40 „Hogescholen“. Sie sind vergleichbar mit deutschen Fachhochschulen. Zulassungsbeschränkungen, wie sie in Deutschland häufig bestehen, gibt es nur in wenigen Fächern. Für Humanmedizin und Zahnmedizin beispielsweise gilt ein sogenannter Numerus fixus. Zugelassen wird unter anderem durch Losen.

Deutsche liefern pünktlich

Gibt es Mentalitätsunterschiede, mit denen die StudentInnen zu ringen haben? Jan findet, „dass Deutsche sehr viel disziplinierter sind. Werden Aufgaben gestellt, sagen Niederländer: ’Ach, das reiche ich vielleicht morgen ein oder gar nicht.‘ Deutsche liefern pünktlich zum Termin und haben alles gut ausgearbeitet. Die Niederländer sind einfach lockerer. Hier ist nicht alles so strikt, man lässt den Menschen viel mehr Raum.“

Julia sieht das genauso. In ihrem Fachbereich liege dieser Unterschied auch darin begründet, dass Deutsche es zu schätzen wüssten, überhaupt einen Studienplatz in Psychologie bekommen zu haben.

Lockere Niederländer, motivierte Deutsche – diese Charakterisierung bestätigt Inge van Dijk. Auch an den Studienergebnissen sei das abzulesen. „Deutsche schneiden sehr gut ab im Vergleich.“ Nach dem Master gehen deutlich mehr der deutschen Studenten in die Forschung. „Sie promovieren in den USA, in Kanada, in Großbritannien. Die Deutschen sind international.“ Schätzungsweise 40 Prozent der Deutschen würden nach dem Studium in den Niederlanden bleiben.

Der neue Präsident der Radboud-Universität, Gert Meijer, hat in den vergangenen zehn Jahren in Berlin gearbeitet und somit einen Vergleich. Meijer beurteilt die Anziehungskraft der niederlandischen Universitäten so: „Mit den Studiengebühren haben die Studenten weniger ein Problem, als man denkt. Sie sehen, was sie dafür bekommen. Die Ausbildung und Lehre sind sehr gut, die Gebäude und Infrastruktur sind modern.“

Auch könne man den Unterricht am besten so gestalten, dass dieser interaktiv sei, hätten diverse Studien gezeigt. „Wenn Studenten mitmachen, indem sie miteinander diskutieren und einander erklären, was die richtige Lösung eines Problems ist, ist das ein effektiver Lernprozess. Ich glaube, die altmodische Art zu unterrichten ist nicht notwendigerweise die beste“, sagt er. Professor Meijer ist sicher, dass niederländische Studenten von den Deutschen profitieren. Der Kontakt führe außerdem zu einem größeren Interesse, Deutschland zu besuchen.

Teure Wohnungen

Bislang studieren wenig Niederländer in Deutschland, rund 1.450. Deswegen hat das Deutschland Institut in Amsterdam jüngst eine Initiative gestartet, um Niederländer für ein Studium im Nachbarland zu interessieren. Meijer findet diese Initiative positiv. Er glaubt allerdings, „dass das, was die Deutschen jetzt in die Niederlande zieht und worüber auch die einheimischen Studenten froh sind, nämlich die bessere Infrastruktur und die modernere Lehrmethode, nicht so einfach zu ändern sind. Aber ich lasse mich gern überraschen.“

Überrascht dagegen sind deutsche Studenten beim Wechsel ins Nachbarland oft, wenn es darum geht, eine bezahlbare Unterkunft zu ergattern. Die Wohnungsnot ist groß. Julia hatte Glück: Sie kam im Studentenwohnheim unter. Jan mietete schließlich ein Zimmer in Kranenburg. In Deutschland.

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