Debatte Flüchtlingspolitik: Studienplätze statt Bootsplätze

Schluss mit dem Elend: Die Tore sollten für Afrikas Elite von morgen offen sein. Wer in Europa studieren darf, kann danach seine Heimat verändern.

Sollten, statt am Rand des Wohlstands zu verharren, lieber in die Hörsäle: Bootsflüchtlinge vor der sizilianischen Küste. Bild: dpa

Europas Einwanderungspolitik lockt hoffnungsvolle junge Afrikaner in den Tod. Rund 17.000 sind im Mittelmeer ertrunken. Aber wenn eine Politik beschlossen werden soll, die zugleich realistisch und menschlich ist, muss sich die Einwanderungsdebatte von polarisierten Emotionen hin zu vernünftiger Analyse bewegen. Deshalb habe ich mein Buch „Exodus“ geschrieben.

Die meisten jungen Afrikaner, die jüngst vor der Küste von Lampedusa ertrunken sind, waren Eritreer. Sie hatten die gefährliche und kostspielige Reise an die Küste Nordafrikas auf sich genommen, dann Plätze auf von der organisierten Kriminalität betriebenen Booten gekauft, im Wissen, dass vor ihnen Tausende von Menschen auf diese Weise gestorben sind.

Das sagt uns zunächst eines: Eritrea ist gegenwärtig ein schrecklicher Ort. Es ist eine Diktatur, die die Menschen erstickt und die Jugendlichen in die Armee einzieht, um Protest zu unterdrücken. Es sagt uns aber auch noch etwas: Die Menschen, die Eritrea verlassen, gehören vermutlich nicht zu den Ärmsten. Die große Mehrheit der Armen kann sich Auswanderung einfach nicht leisten.

Eritreas Regierung hat ebenso wie die Regierungen vieler andere Länder darin versagt, ihrer Jugend Hoffnung zu bieten. Es gibt weder Arbeit noch Gerechtigkeit. Veränderung wird durch innere Auseinandersetzungen zwischen der verzweifelten Jugend und den eingebunkerten Interessen und Ideologien eintreten. Als Außenstehende können wir in diese Auseinandersetzungen nicht direkt eingreifen: Diktatoren sind darin versiert, ihr Eigeninteresse als Verteidigung der Nation gegen äußeren Druck zu darzustellen.

Mit seinem neuen Buch „Exodus“, soeben in Großbritannien erschienen und 2014 beim Siedler Verlag auf Deutsch geplant, greift der weltbekannte Ökonom Paul Collier in die Migrationsdebatte ein. In diesem Text für die taz hat er seine Argumente zusammengefasst. Übersetzung aus dem Englischen: Dominic Johnson.

Collier erhält an diesem Samstag im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) den A.SK-Preis für Sozialwissenschaften. „Für seine Arbeiten zu globaler Gerechtigkeit“. Die Begründung lesen sie hier.

Glücklicherweise gibt es viele Regierungen, wenngleich nicht die in Eritrea, die jetzt ernsthaft versuchen, etwas zu verändern. In diesen Ländern kann unsere Hilfe das Aufkommen von Chancen beschleunigen und dadurch den Migrationsdruck senken.

Die richtige Art von Migration

Massenauswanderung kann nicht die Lösung für die Hoffnungen der jungen Afrikaner sein. Ganz abgesehen von der Frage, ob Europa Millionen junge Afrikaner als Zuwanderer in unseren Gesellschaften akzeptieren würde, können sich die Probleme der zurückgelassenen armen Mehrheit vertiefen, wenn die unternehmungslustigen Jungen gehen.

Gemessen an seiner Bevölkerungsgröße hat Eritrea bereits mehr Auswanderer als fast jede andere Gesellschaft in Afrika. Unter der ruinösen Politik Präsident Mugabes in Simbabwe verließen über eine Million junge Simbabwer ihr Land. Die Ausreise der Tatkräftigen und Unzufriedenen hat es Präsident Mugabe soeben ermöglicht, eine Wahl zu gewinnen; und sie hilft vermutlich Eritreas Präsident Afeworki, die Kontrolle zu wahren.

Aber die richtige Art von Migration kann dazu beitragen, Veränderung in afrikanischen Gesellschaften zu beschleunigen. Junge Afrikaner, die zum Studieren nach Europa kommen und dann in ihre Heimatländer zurückgehen, nehmen sowohl die erlernten Fertigkeiten mit in die Heimat zurück als auch die Einstellungen, die sie absorbieren, wenn sie unter uns leben. Es gibt solide Belege dafür, dass zurückkehrende Migranten Veränderungsprozesse vorantreiben. Das sagt uns, welche Art von Migration wir fördern und welche Art wir vermeiden sollten.

Gegenwärtig setzen Europas Einwanderungskontrollen der Anzahl der Studenten, die aus Afrika zum Studium herkommen können, enge Grenzen. Das ist in zweifacher Hinsicht schädlich. Es verzögert nicht nur Veränderung in Afrika, es ist auch kostspielig für uns. Europa kann Bildung; das kann eine unserer Exportbranchen des 21. Jahrhunderts sein. Und in dem Maße, wie Afrika sich entwickelt – es wächst jetzt viel schneller als Europa –, können die Bande, die in Europa geknüpft werden, europäischen Unternehmen in späteren Jahrzehnten Vorteile bringen, wenn diese Studenten die Eliten ihrer Gesellschaften geworden sind.

Leichtfertiges Menschenrechtsgerede

Also müssen wir unsere Tore für diejenigen Afrikaner, die zum Studium nach Europa kommen und dann zurückkehren wollen, viel weiter öffnen. Umwidmung von Hilfe in Stipendien könnte eine Reform der Einwanderungspolitik begleiten.

Aber die illegale Migration auf Booten nach Lampedusa ist das Gegenteil von Studenteneinreise. Das Letzte, was illegale Einwanderer sich vorstellen, ist die Rückkehr in die Heimat. Da sie sich illegal aufhalten, ist Integration für sie schwer, und so verharren sie an den Rändern des europäischen Wohlstands. Während wir durch großzügige Studienmigrationsprogramme die Tore der Hoffnung für junge Afrikaner öffnen, müssen wir zugleich diese gefährlichen Bootsreisen abstellen.

Dieser Debattenbeitrag erscheint neben anderen Texten zum Thema der Flucht nach Europa in der taz.am wochenende vom 19./20. Oktober 2013. Außerdem: Wird man da irre? Ein Schriftsteller über seinen freiwilligen Aufenthalt in der Psychiatrie. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Es gibt dafür ein einfaches Mittel. Die Menschen bezahlen kriminelle Gangs für Plätze auf Booten unter Einsatz ihres Lebens. Denn wenn sie einmal einen Fuß auf den Strand von Lampedusa setzen können, überschüttet die europäische Gesetzgebung sie plötzlich mit Rechten. Die italienischen Behörden halten die langwierigen Rechtsverfahren, die zu ihrer Rückführung in ihre Heimatländer nötig sind, für zu teuer, und da Italiens Nordgrenzen offen sind, schicken sie die illegalen Migranten lieber auf den Weg nach Deutschland.

Leichtfertiges Menschenrechtsgerede hat diese Situation hervorgerufen und hat unabsichtlich das fürchterliche unmenschliche Elend generiert, das hoffnungsvolle junge Afrikaner in den Tod lockt.

Wir müssen die Gesetze ändern, damit ein junger Afrikaner nicht länger dadurch, dass er an einem Strand landet, von jemandem, dem Europa Hilfe verweigert, in jemanden verwandelt wird, den Europa widerwillig an den Rändern seiner Wirtschaft und Gesellschaft duldet. Hoffnung sollte dadurch entstehen, dass man in der Heimat bleibt und Studienplätze in Europa beantragt.

Wir können und sollten nicht unsere Tore für alle öffnen, die kommen wollen. Wir müssen weiter denken als das kurzfristige Interesse des Ausreisers, und zwar müssen wir die Folgen für diejenigen mitbedenken, die in ihrer Talente und Energie beraubten Gesellschaften zurückbleiben. Wir müssen unsere Migrationsstrategie mit einer größeren Strategie verbinden, wie wir lange in Hoffnungslosigkeit gefangenen Gesellschaften Hoffnung bringen können.

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