Kommentar Große Koalition: Jubel, Jubel, Jubel. Wirklich?

Alle feiern Gabriel als großen Triumphator. Aber Kanzlerin Merkel kriegt, was sie will: Sie kann ihren Kurs fortsetzen und sich für andere Bündnisse öffnen.

Glücklich: Angela Merkel. Bild: reuters

Sechs SPD-MinisterInnen musste Angela Merkel schlucken. Trotz ihres fast absoluten Wahlsieges. Was für ein Sieg für die SPD, was für ein Triumph für Sigmar Gabriel, das strategische Superhirn. Jubel, Jubel, Jubel. Wirklich?

Politik ist mehr als Malen nach Zahlen. Was also ergibt eine erste Analyse? Dass Super-Sigi irgendwie groß rauskommt, war klar. Der wirkliche Coup ist die Besetzung des Verteidigungsministeriums mit Ursula von der Leyen. Ihr, der Meisterin der Symbolpolitik, ist es zuzutrauen, die Bundeswehr aus den Beschaffungsskandalen herauszuführen und die Transparenz herzustellen, die die Bürgerinnen und Bürger so dringend fordern.

Die ehrgeizige Niedersächsin schätzt Herkulesaufgaben. Und damit die Ambitionen nicht in den Himmel wachsen, stellt die Machtstrategin Merkel ihr gleich einen Konkurrenten als weiteren potenziellen Nach-Merkel-Kanzler an die Seite: Thomas de Maizière wird Innenminister. Und auch er wird in seiner neuen Aufgabe fortschreiben, was Merkel stoisch seit Jahren betreibt: die stückweise Liberalisierung der CDU. Von ihm darf verhältnismäßig Gutes erwartet werden, es besteht berechtigte Hoffnung, dass der bisherige Kurs der absoluten Ausgrenzung aufgeweicht wird und auch eine vernünftige Lösung in der Frage der Staatsbürgerschaft gefunden wird.

Und Sigmar Gabriel, der Triumphator, der sich nach dem klar gewonnen Mitgliederentscheid präsentiert, als hätte er die Bundestagswahl nachträglich dann doch noch gewonnen?

Betonmischer der Nation

Noch streiten die Experten, was der neue Zuschnitt der Ressorts Wirtschaft, Umwelt und Energiewende mit den entsprechenden Akteuren tatsächlich bedeuten wird. Was von Barbara Hendricks zu erwarten ist, der Frau aus dem Kohlerevier Nordrhein-Westfalen. Und wie ernst es einem SPD-Mann überhaupt sein kann nicht nur mit der Energiewende, sondern mit dem Umwelt- und Klimaschutz ganz allgemein. Noch deutlich hört man seine unterstützenden Worte zu infrastrukturellen Großprojekten wie Stuttgart 21.

Der Zuschnitt der Ressorts macht theoretisch einiges möglich. Aber natürlich bleibt die Frage, ob es der SPD gelingt, das eigene Profil weiterzuentwickeln, den Ruf als Betonmischer der Nation abzustreifen und zu einer zukunftsweisenden Industriepolitik zu finden, die die derzeitigen Strukturen nicht als alternativlos verteidigt.

Merkel hat bekommen, was sie unbedingt wollte. Sie kann ihren Kurs im Wesentlichen fortsetzen. Und vor allem ihr Image als Modernisiererin fortschreiben. Damit macht sie sich schon jetzt anschlussfähig für andere Bündnisse. Und hat – wieder einmal – die Nase vorn.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.