Reiseveranstalter setzen auf Trinkgelder: Abgezockt und ausgebeutet

Trinkgelder haben sich als Extrakosten in die Angebote der Reiseveranstalter geschlichen. Aber sie rechtfertigen nicht die Billigstlöhne lokaler Agenturen.

Trinkgelder müssen als Rechtfertigung von Dumpinglöhnen herhalten. Bild: imago/emil umdorf

Die Reise mit dem Nostalgiezug durch Afrika kostet über 12.000 Euro. Die Antarktis-Luxuskreuzfahrt schlägt mit 8.000 Euro zu Buche. Pro Person, doch immerhin mit allem Drum und Dran: Transport zu Land, Luft und See, Verpflegung, Unterkunft, Reisebetreuung. Ein Komplettpreis, mit dem sich klar rechnen lässt. Oder doch nicht? Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, haben sich in den letzten Jahren Extrakosten in die Angebote der Reiseveranstalter geschlichen. Die Rede ist von Trinkgeldern.

Kommen nach der Buchung die Reiseunterlagen ins Haus, greifen viele Veranstalter inzwischen mehr oder weniger unverhohlen ein weiteres Mal in die Taschen ihrer Kunden. Dabei ist es egal, ob es sich um vermeintliche Schnäppchenangebote im Billigsektor handelt oder solche aus dem obersten Preissegment.

Vor allem dort, wo es richtig teuer wird, solle man dann schon 10 bis 15 Euro Trinkgeld pro Person und Tag zusätzlich veranschlagen, liest da oft der verblüffte Kunde: für Busfahrer, Zimmermädchen, Küchenpersonal und Gepäckträger.

Lokale Fremdenführer seien ebenso zu bedenken wie der Reiseleiter, der – und das ist besonders pikant – immerhin der offizielle Repräsentant des hiesigen Veranstalters selbst ist, dessen Leistung ja bereits bezahlt wurde. Da wird mit Handlungsrichtlinien nicht gegeizt, etwa wer wie viel bekommen sollte. Um 150 bis 250 Euro erhöhte sich so geschätzt der Preis pro Person für jede der oben genannten Beispielreisen

Wer das für Peanuts hält, sollte einen Blick auf die Gästezahlen werfen. Gut fünfzig Zugreisende im Nostalgiezug dürften 12.000 Euro Trinkgeld zusätzlich berappt haben, mehr als hundertsiebzig Kreuzfahrer etwa 40.000 Euro.

Katole verschwiegen die Zusatzkosten

Das hat Methode, daran zweifeln Verbraucherschützer nicht. „Bis jetzt kannten wir das nur von Kreuzfahrten“, sagt Kerstin Hoppe vom Bundesverband der Verbraucherzentralen VZBV, der in mehreren Verfahren Unterlassungserklärungen von Seereiseanbietern erzwang, deren Kataloge diese quasiobligatorischen Zusatzkosten an Bord verschwiegen.

„Feste Serviceentgelte“, sagt Tatiana Halm, Juristin bei der bayrischen VZ, „sind eigentlich versteckte Preise, die zunächst verschwiegen werden.“ Und das sei illegal. Manche dieser Pauschalen würden direkt dem Bordkonto des Reisenden belastet. Dieser müsse dann schon protestieren, damit dies nicht geschehe; von einer Entscheidung aus freien Stücken könne da keine Rede mehr sein.

Nervende Briefchen

Wer detaillierte Vorgaben zur Höhe dieser Sonderkosten in seine Reiseinfos schreibt, wer auch am Urlaubsort noch mal deutlich auf deren Zahlung drängt, setzt der nicht fest auf ihre Einnahme, selbst wenn er sie „freiwillig“ nennt? Viele Urlauber sehen das so. Es nervt, wenn am Ferienende Briefchen die Runde machen, in die wie bei der Kirchenkollekte Bares gesteckt werden soll.

Immer öfter auch heißt es in den Trinkgeldrichtlinien, eine gute Leistung individuell zu belohnen sei unerwünscht. Schließlich solle das Geld gerecht unter allen Mitarbeitern verteilt werden, auch denen, die im Hintergrund blieben.

Doch gerade die Vorgabe der Höhe der Trinkgelder und deren kontrollierte Einnahme durch die Reiseleitung vor Ort, argwöhnen Verbraucherschützer hinter vorgehaltener Hand, nährten einen weiteren Verdacht: Veranstalter machten so ihre Reisen preisgünstiger und attraktiver, als sie bei fairer Kalkulation eigentlich wären. Denn ein wichtiger Kostenfaktor, die Gehälter der Mitarbeiter am Urlaubsort, könne so niedrig gehalten werden.

Der Tourist wird instrumentalisiert

Outsourcing von Arbeitskräften ist auch im global agierenden Tourismus gang und gäbe. Wer den Mitarbeitern ein besonders niedriges Grundgehalt gebe, so der Verdacht, könne darauf verweisen, dass es Urlauber mit ihren Trinkgeldern ja später deutlich aufbesserten. Wird der Tourist also über Umwege für Lohndumping im Reiseland instrumentalisiert?

Trinkgelder seien, so liest man zum Thema auf der Website der TUI-Reisecenter, in großen Teilen der Welt „ein wesentlicher Bestandteil des Einkommens“ ihrer Mitarbeiter. Das hört sich kaum noch nach Belohnung für eine individuell herausragende Leistung an, sondern klingt wie ein allgemein gültiger Regelsatz. Subventioniert der Reisende also Billiglöhne?

„Wir zahlen für sehr gute Mitarbeiter vor Ort überdurchschnittliche Löhne. Trinkgelder sollen da vor allem deren Motivation stärken“, sagt Felix Willeke von Lernidee Erlebnisreisen. Michael Schulze von Phoenix Reisen weist darauf hin, dass „wir nur Empfehlungen geben. Alles ist absolut freiwillig“.

„Unglückliche Formulierung“

TUI-Pressesprecherin Susanne Stünckel versichert, „dass es keine Verpflichtung zur Zahlung von Trinkgeldern gibt“. Immerhin hält sie die Formulierung der TUI-Reisecenter für unglücklich und sagt auf Anfrage, man werde sie ändern. Geschehen ist das bis jetzt aber nicht.

Michael Schulze distanziert sich von Servicepauschalen bei Kreuzfahrtreisen, die er auch kennt. Genauso wie Lernidee-Mann Willeke, der zum Umgang mit Trinkgeldern bei Pauschalreisen Problembewusstsein zeigt und sagt, „nur wenn die Veranstalter geschlossen handelten, könnten wir das Thema für die Zukunft lösen“.

TUI-Frau Stünckel zieht außerdem eine Trennlinie zwischen eigenen Angestellten, für die keine Trinkgelder vorgesehen seien, und lokalen Dienstleistern am Urlaubsort, für die man zwar Empfehlungen abgebe, aber eigentlich nicht zuständig sei.

Kerstin Hoppe vom VZBV nennt diese Art der Argumentation „feinsinnig“. Tatiana Halm glaubt, dass das Problem und seine Konsequenzen bisher erst ansatzweise erkannt wurden. „Wir haben dazu kaum Beschwerden von Verbrauchern. Die nehmen das offenbar hin, wenn auch murrend“, sagt die VZ-Juristin.

Schon bei der Buchung aufpassen

„Nur auf schriftliche Klagen hin können wir aktiv werden“, bekräftigt auch Kerstin Hoppe, die zugibt, dass die Art und Weise, wie Trinkgeld generiert werde, auch bei den Verbraucherzentralen bisher nicht im Fokus stand. Doch auf diese Recherche hin werde der VZBV das Thema nun in seine Stellungnahme zu den Pauschalreiserichtlinien aufnehmen, die im Europäischen Parlament erarbeitet werden.

Kerstin Hoppe empfiehlt Verbrauchern, schon bei der Reisebuchung darauf zu achten, dass Trinkgelder im Leistungsumfang inbegriffen sind.

Denn eines ist absehbar: Sollte diese Entwicklung Schule machen, hätten wir bald US-amerikanische Verhältnisse. Dort werden im Dienstleistungssektor Hungerlöhne gezahlt, weil auf Trinkgelder gesetzt wird.

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