Lewitscharoff über Retortenkinder: Sibylles schwarze Fantasien

Auf der Lit.Cologne wollte Lewitscharoff einen Roman vorstellen. Aber geredet wurde über „Halbwesen“. Sie bedauert die Formulierung – die Aussage nicht.

Scheint Dinge zu sehen, die nicht jeder sieht: Sibylle Lewitscharoff. Bild: dpa

KÖLN dpa | Es rumort im Saal. Damen und Herren stehen auf und streben dem Ausgang zu, offenbar unter Protest und ungeachtet des entrichteten Eintrittsgeldes von 14,50 Euro. Die eigentliche Lesung mit Sibylle Lewitscharoff bei der Lit.Cologne hat noch gar nicht begonnen, da haben viele schon genug.

Lewitscharoff – sie sitzt hinter einem sehr breiten Tisch auf der Bühne – lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. In schnurrendem Schwäbisch („Flädermausohren“) breitet sie auf Nachfrage abermals ihre umstrittenen Thesen aus. Und dabei lässt sie sich von gelegentlichen Zwischen- und Buhrufen nicht aus der Fassung bringen.

Ihrer Gesprächspartnerin, der WDR-Moderatorin Bettina Böttinger, steht die Anspannung dagegen im Gesicht geschrieben. Sie kann ihren Ärger kaum unterdrücken. Böttinger hat Lewitscharoff gerade gefragt, inwieweit sie ihre Äußerungen über Retortenkinder als „Halbwesen“ zurücknehme. Lewitscharoff wiederholt, was sie schon mehrfach gesagt hat: Die Formulierung bedauert sie, zu den Aussagen steht sie. Und sie sei auch ganz gewiss nicht die einzige, die so denke. „Da sind schwarze Fantasien im Umlauf.“

Böttinger erzählt, wie sie sich Lewitscharoffs Dresdner Rede im Internet angehört und dabei sofort Begriffe mitgeschrieben habe wie: „Halbwesen“, „widerwärtig“, „abscheulich“, „abartig“, „grotesk“, „vom Teufel ersonnen“. Wie konnte sich die Schriftstellerin als anerkannte Sprachvirtuosin zu solchen Formulierungen versteigen? Naja, meint Lewitscharoff. Ein Schriftsteller rede natürlich nicht so abgemessen wie Angela Merkel. Sie persönlich provoziere auch mal gern. Die heftigen Reaktionen habe sie aber in keiner Weise erwartet, „sonst hätte ich die Rede nicht gehalten, ich schwöre es Ihnen!“ Niemals hätte sie freiwillig die „wunderbare Chaussee des Erfolges“ verlassen, „das ist ja saudumm“.

Davon abgesehen hält sie das Leben aus der Retorte für einen der größten Einschnitte in der Menschheitsgeschichte mit unabsehbaren Folgen. Das natürliche Fortpflanzungsgeschehen sei schon verstörend genug. „Darum ranken sich ja sehr viele Fantasien des Kindes sowieso, auch wenn sie normal auf die Welt gekommen sind. Aber diese neuen medizinischen Techniken induzieren doch noch andere Möglichkeiten der Verstörung.“

Von Berufs wegen unten herumfuhrwerken

Befreundete Psychoanalytiker hätten die Retortenkinder der ersten Generation schon auf der Couch liegen. Voilà. Ein Zwischenrufer fordert Belege. Empirische Belege habe sie natürlich nicht, erwidert die Autorin. Sie selbst hält sich bei dem ganzen Thema übrigens für nicht ganz unvorbelastet: Ihr Vater war Gynäkologe, „auch keine ganz einfache Hypothek für eine Tochter“, wenn man wisse, dass der eigene Vater von Berufs wegen da unten habe herumfuhrwerken müssen. Sie selbst hat keine Kinder.

Böttinger setzt nochmal nach. Heftiger noch als das Wort „Halbwesen“ findet sie den Vergleich zwischen der heutigen Reproduktionsmedizin und den „Kopulationsheimen“ der Nazis. „Das find ich jetzt nicht“, sagt Lewitscharoff. Der Trend gehe eindeutig wieder in Richtung Menschenzucht, man könne sich die Samenspender doch im Katalogverfahren aussuchen. „Das ist eine Zuchtauslese, das kann mir keiner ausreden!“

Am Ende will Böttinger noch wissen, ob die Büchnerpreisträgerin nun Angst um ihren Ruf habe. „Ich bin kein ängstlicher Mensch“, kommt als Antwort. „Das beleidigte Leberwürstle liegt nicht so ganz in meinem Charakter.“

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