„Heartbleed“ und Kontrollverlust: Ich hasse Edward Snowden

Jedes neue Sicherheitsleck, ob von der NSA gesteuert oder nur ein unschuldiger Bug, zeigt dem User allein eins: Hilflosigkeit gegenüber der Technik.

Der hat gut lachen. Bild: reuters

Stefan Heym beschreibt in seiner Autobiografie „Nachruf“, wie seine Frau, Inge Heym, mit Überwachungsmaßnahmen in der DDR umzugehen pflegte. Die Staatssicherheit hatte vorm Haus des Ehepaars, mehr zur Einschüchterung denn zur tatsächlichen Auskundschaftung, ganz offen ein Fahrzeug mit mehreren Spitzeln stationiert.

Inge Heym setzte kurzerhand Kaffee auf und brachte ihn raus zu den Überwachern, die sich nervös, aber höflich bedankten und zügig abzogen. Das Auto kam nie wieder nach Grünau. Mit einer kleinen Geste hatte Frau Heym demonstriert, wie sich Kontrollverlust am besten überwinden lässt – mit Selbstbewusstsein.

Die Abhöranlagen in ihrem Haus entdeckten die Heyms erst sehr viel später. Dass sie aber schon lange davon ausgingen, jedes Gespräch werde aufgezeichnet, beschreibt unter anderem der Germanist Peter Hutchinson, dessen erstes Interview mit Heym nicht zufällig draußen im Garten geführt wurde.

Mit jeder neuen Enthüllung aus den Snowden-Papieren, jedem neuen Sicherheitsleck, wie dem wiederholten millionenfachen Passwortdiebstahl oder zuletzt dem Bekanntwerden des Heartbleed-Bugs, wird uns so ein Auto vor die Tür gestellt und wir erfahren, dass wir komplett verwanzt sind. Immer wieder werden wir daran erinnert, dass es eine Vielzahl an Wegen gibt, unsere private Kommunikation zu überwachen; von Geheimdiensten, einfachen Kriminellen oder begabten Jugendlichen, die ihre Neugier und Langeweile mit technischem Sachverstand auf einem handelsüblichen Notebook ausleben.

Keine Chance

Die wissen alle viel besser als ich, was auf meinen Endgeräten so passiert. Ich könnte die Maschinen ja nicht einmal aufschrauben, wenn ich wollte. Hinter schicken Logos sind die Bauteile so miteinander verklebt, dass der Versuch, sie sich genauer anzuschauen sie automatisch zerstören würden. Die Software, ob proprietär oder Open Source ist ohnehin ein Buch mit sieben Siegeln. Keine Ahnung, was da drin steht, einfach keine Ahnung.

Und dann diese ganzen Leaks, die Bugs, die Totalüberwachung – zuletzt eben Heartbleed. Über Jahre unentdeckt, selbst vom ideellen Gesamtsystemadministrator unbemerkt, war da ein riesiges Sicherheitsloch, das... Ja was? Was genau macht dieser Fehler? Lesen, Erklärcartoons anschauen, wenigstens ungefähr verstehen, was da geschieht. Keine Chance – ich brauche Hilfe.

Der Gesamtsystemadministrator, nennen wir ihn Edward Snowden, schaut andächtig auf den Kaffee, den ich ihm gebracht habe. Ob er Stefan Heym kennt? „Nein. Warum?“ Ach nichts; also, dieses Heartbleed, ist das schlimm? Hat das die NSA gemacht? Was können die damit alles in Erfahrung bringen? „Ich habe dir doch gesagt: Sie überwachen alles. Welche Teilmenge von -Alles- dachtest du denn, sei davon ausgenommen?“ Klugscheißer. Muss ich nun also meine Passwörter ändern oder nicht? Snowden lächelt milde: „Das Passwort ändern sollte man sowieso dann und wann. :-)“

Ok, ich will zurück an meinen Platz, das Systemlogin ändern und dann alle anderen Passwörter. „Das kannst du auch von hier aus machen“, sagt Snowden und schiebt mir herausfordernd seine kabellose Tastatur rüber. Ein spöttisches Grinsen auf den Lippen schaut er an die Decke, während ich wütend Passwörter im Akkord eingebe. Das Alte, das Neue, das Neue wiederholen. Das Alte, das Neue, das Neue wiederholen. Wieder und wieder. Ich hasse Snowden. Dabei meint er es doch nur gut mit mir. Oder?

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Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Public key: https://pgp.mit.edu/pks/lookup?op=vindex&search=0xC1FF0214F07A5DF4

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