Die Wahrheit: „An sich kein Ding“

Wissenschaftler entwickeln die substanzfreie Universität. Dabei tragen sie Rudimente des Essentialismus gleichsam spielerisch ab.

Großer Hokuspokus: die Subjekt-Substanz-Orientierung verstehen. Bild: Kim Hong-Ji/reuters

Am renommierten Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung (BIPS) trafen sich zum 4. Europäischen Symposium über Substanzkonsum und -missbrauch unter Studierenden (Essus) vom 26. bis. 27. Juni 2014 international angesehene Wissenschaftler. Sie diskutierten über neue Methoden, den Substanzgebrauch einzudämmen oder gar ganz zu verhindern.

„Die Zeit ist reif“, ermahnte der Präsident der wissenschaftlichen Gesellschaft zur Förderung substanzfreier Forschung (GzFsF), Archibald Boaster vom Center for the Application of Substance Prevention der University of Nevada in seiner Keynote die Fachleute, ihre Disziplin stärker auch als gesellschaftliche Praxis zu begreifen.

Es sei „nicht länger hinnehmbar, dass Studierende aller Fachrichtungen noch immer in Universitäten oder Hochschulen Orte eines über den Alltag – und ihr Funktionieren in eben diesem Alltag – hinausführenden Fragens und Verstehens erblicken“, formulierte der Doyen der Substanzbekämpfung. Diese „jungen Menschen, die sich oft erstmals aus der Obhut ihrer Eltern lösen“, würden Forschung oft als Tätigkeit der „Sinnsuche und -stiftung“ deuten, „bei der, was nicht unmittelbar erscheint, begriffen werden kann“.

Damit seien sie auf dem Wege, Opfer jener „Metaphysik der Substanz“ zu werden, über die Judith Butler längst alles Unwesentliche gesagt und geschrieben habe. „Es gibt im Grunde dazu absolut nichts Originär-Neues zu offenbaren“, schmetterte er in den Saal, „und das kann uns im Prinzip egal sein.“

Boasters von frenetischem Beifall begrüßte Rede sorgte durch ihren kämpferischen Gestus während des ganzen ersten Symposiumstages für eine fast euphorisch-gelöste Stimmung, „auch wenn“, wie Finanzmarktforscher Bjarne Byfåne aus Uppsala der Wahrheit anvertraute, „wesentlich unklar geblieben ist, worum es hier eigentlich gehen sollte“. Als sich bei näherer Befragung zeigte, dass Byfåne infolge einer Signalstörung nur sein wahres Ziel, eine wirtschaftswissenschaftliche Konferenz zur Theorie des Geldwertes in Buxtehude, verfehlt hatte, wirkte er zwar kurz geknickt, konstatierte allerdings dass „es an sich ja kein Ding“ sei.

Endliche Ressourcen

Wie die übrigen insgesamt 200 Kongressteilnehmer beteiligte er sich eifrig an der Fachdiskussion über Online-Portale. Von denen verspricht man sich laut Veranstalter, „den Substanzkonsum unter Studierenden zu verringern“. Vor allem hoffe man, sie auch für die Prävention einsetzen zu können – denn gerade für Jungakademiker sei erstrebenswert, gar nicht erst substanziell zu werden. Damit erspare man sich später eine mühselige und mit hohen gesellschaftlichen Kosten verbundene Entwöhnung vom Substanzgebrauch etwa per schlechtem Fernsehprogramm, hieß es.

Ein Argument, das medienökonomisch durch die Bremer Nachwuchswissenschaftlerin Inçi Pide starkgemacht wurde: Es sei zwar „nur recht und billig, dass für Stars wie Markus Lanz das Honorar in ganz Deutschland per Umlage eingetrieben wird“. Allerdings sei auch diese Ressource endlich.

Wie auch in diesem Vortrag deutete sich eine Trendwende in der wissenschaftlichen Diskussion an. So hatte es schon in der Ankündigung des Symposiums geheißen, man wolle bei der Vorsorge nicht mehr, „mit erhobenem Zeigefinger auf die Gefahren von Substanzkonsum hinweisen“. Tatsächlich hat diese ungelenke Methode laut der Prager Ideen-Historikerin Livia Dutématice die Anfänge der Bewegung geprägt, und selbstverständlich sei man heute – auch aufgrund smarterer Software und benutzerfreundlicherer Anwenderoberflächen – in der Lage, die „Rudimente des Essentialismus gleichsam spielerisch abzutragen“.

Doch sei das brachiale Vorgehen von einst, hieß es in ihrem instruktiven wie pointierten Abriss der Geschichte der akademischen Entsubstanzialisierung, „unvermeidlich gewesen und durch seinen Erfolg legitimiert“: Sie erinnerte an den vor exakt 15 Jahren mit Macht eingeleiteten Bologna-Prozess.

„Und unbestreitbar ist Bologna der Name eines Triumphs“, stellte Dutématice klar. Das schlage sich besonders eindrucksvoll nieder in den Zahlen des Studierendensurveys. Tatsächlich wissen laut diesem mittlerweile fast 90 Prozent der Studierenden, dass sie mit einem Bachelor keine guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, dafür aber ihre individuelle Studiengestaltung stark eingeschränkt haben, „eine deutliche Zunahme seit Einführung“. Dennoch würden heute so viele junge Menschen an die deutschen Hochschulen strömen, wie nie zuvor. „Diese Aufgabe der Reflexion in sich selbst ist, ganz im Sinne Hegels und gegen ihn, als Aufgabe der Subjekt-Substanz-Orientierung zu verstehen“, schloss sie mit einem Bonmot, „und nichts anderes ist unsere Aufgabe“.

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