Frauen im Sportjournalismus: „WM ist die heilige Kuh der Männer“

Die weibliche Fußballberichterstattung muss eine Marke werden, sagt Carmen Thomas. Die erste Sportmoderatorin in Deutschland über Männer, Mäntel, Schuldfragen.

Unkonventioneller in der Berichterstattung: Frauen aufm Platz. Bild: imago

taz: Frau Thomas, in der Berichterstattung über die Weltmeisterschaft sieht man kaum Frauen. Interessieren sich Frauen einfach nicht für Fußball?

Carmen Thomas: Selbstverständlich gibt es mittlerweile eine ganze Reihe fachlich versierter Sportjournalistinnen, die oft mehrere Sprachen sprechen oder selbst im Profisport waren. Allerdings schaffen sie es meist nicht in die erste Reihe. Die WM ist eben die heilige Kuh der Männer.

Die wenigen, die es nach oben schaffen, sehen auffallend gut aus. Ist das Voraussetzung, um eingestellt zu werden?

Ja, aber nicht nur. Die Ansprüche an Frauen sind generell sehr hoch. Sie müssen fachlich kompetent sein und atemberaubend schön. Dazu sollten sie am besten noch 15 Jahre Auslandserfahrung mitbringen und selbst erfolgreich Fußball gespielt haben.

Sind diese Anforderungen der Grund dafür, dass es immer noch so wenige Frauen in der Sportberichterstattung gibt?

Meines Erachtens liegt die Ursache woanders: Bei den wirklich wichtigen Positionen helfen die Männer den Frauen lieber in den Mantel als in ein Amt, das sie selbst gerne hätten oder behalten möchten.

Ist es nicht sehr einfach, die Schuld nur bei den Männern zu suchen?

Es geht weniger um Schuldfragen als um die Beobachtung, dass bis heute kein Entscheider im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu der Einsicht gelangt ist, dass Frauen in der Fußballberichterstattung einen Mehrwert liefern könnten. Frauen werden immer nur an männlichen Maßstäben gemessen. Sie einfach mal mit weiblichen Sichtweisen anders machen zu lassen und neugierig darauf zu sein statt befremdet – darum geht es.

geboren 1946, moderierte ab 1973 als erste Frau das „Aktuelle Sportstudio“ im ZDF. Berühmt wurde sie mit ihrem Versprecher: „Schalke 05“. Die Bild titelte damals: „Charme allein reicht nicht!“. Heute arbeitet Thomas als Moderationscoach.

Was genau machen Frauen denn anders?

Ich glaube, dass Frauen eine andere Sprache haben, dass sie achtsamer andere Dinge bemerken und wertschätzender in der Kommunikation sein könnten: Das heißt: klarer in der Sache und respektvoller im Umgang. Männer haben oft nur Fußball und Leistung im Auge. Frauen können querdenkerischer und vernetzender denken. Und sie können es sich leisten, unkonventioneller und mutiger zu sein. Die Fallhöhe ist geringer.

Endet das Anderssein nicht oft im Klischee? Katrin Müller-Hohenstein, die als einzige Frau prominent von der Weltmeisterschaft berichtet, muss sich oft vorwerfen lassen, dass sie sich zu sehr fürs Menschliche interessieren würde.

Katrin Müller-Hohenstein ist eine wirklich kluge, fachlich versierte, charmante und auch noch gut aussehende Journalistin. Für viele Dinge, für die sie an der Ostsee und jetzt in Brasilien gescholten wird, kann sie gar nichts. Wenn sie im Interview neben Podolski die Beine ins Wasser baumeln lässt, dann sind das häufig Einfälle aus der Regie. Die sagen: „Jetzt mach mal was Lockereres.“ Es ist schwer, anderes zu wollen, oder öfter Nein zu sagen, wenn man nicht als zickig abgestempelt werden will. Folge: der Vorwurf von draußen: „Sie biedert sich an.“

Beim Privatsender Sky gibt es deutlich mehr Frauen als bei den Öffentlich-Rechtlichen. Ist Sky also ein Vorbild für Emanzipation im Sportjournalismus?

Nein, das ist vor allem gekonnte Markenbildung. Sky hat erkannt, dass es sich gut vermarkten lässt, wenn man sagt, wir machen es anders als die anderen.

Öffnet es nicht trotzdem eine Tür für Frauen?

Ja klar. Sie haben die Öffentlich-Rechtlichen lange überholt. Denn sie müssen sich das mal wegtun: Beim ZDF hat es bisher in über 50 Jahren nur fünf Frauenmodelle gegeben. Bei der ARD ist die Lage noch schlimmer. Die haben mit Anne Will erst 1999 die erste Frau rangelassen. Das war 26 Jahre nach mir.

Als Sie 1973 zum „Aktuellen Sportstudio“ im ZDF kamen, waren Sie die in Deutschland erste Moderatorin einer Sportsendung. Wie kam es dazu?

Da ist ein Muster erkennbar: Frauen dürfen gerne dann ran, wenn der Schlagschatten eines männlichen Vorgängers den Männern zu groß ist. Kalkulation: Mal kurz ’ne Frau dran und sich verbrennen lassen, und wie erleichtert sind dann alle, wenn mal wieder ein ordentlicher Mann rankommt. So war das auch bei Kohl und Merkel ursprünglich vorgesehen. Ich war im ZDF-Sportstudio eine Nachfolgerin von Wim Thoelke, der die Sendung von 1963 bis 1970 moderierte.

Wie sind Ihre Kollegen Ihnen dann begegnet?

Es war eine paradoxe Situation. Damals dachten alle, Frauen wären zartbesaitet. Dabei kam die letzte Frauengeneration gerade aus dem Krieg und hatte das Land wiederaufgebaut. Trotzdem dauerten alte Klischees fort. Frauen durften keine Kraftwörter benutzen, sie durften nicht mal langsam über die Straße gehen, ohne gleich für eine Bordsteinschwalbe gehalten zu werden. Doch mich konnten die Männer nicht einordnen. Ich hatte kurze Haare, sah salopp aus und hatte nichts Unterwürfiges.

Heute erinnert man sich vor allem wegen eines einzigen Versprechers an Sie.

Klar, „Schalke 05“! Im Grunde richtete sich die Bild-Kampagne, die darauf folgte, aber nicht gegen mich. Ich war eigentlich nur die Stellvertreterzielscheibe, die ihren Kopf hinhalten musste. Eigentlich ging das gegen einen SPD-nahen Abteilungsleiter, der einigen im CDU-geführten ZDF offenbar nicht passte.

Das Frauenbild hat sich in den letzten vierzig Jahren grundlegend gewandelt. Braucht es eine Quote, damit die Frauen endlich auch bei den Fußball-Großereignissen ankommen?

Ja, wenn sich die Frauen nicht von selbst melden, dann muss man sie eben erzeugen. Journalismus ist ein Handwerk, das man erlernen kann. Und wenn die Redaktionen wirklich ein Interesse an mehr Frauen hätten, würden sie weibliche Talente schon viel früher gezielt fördern. Zum Beispiel indem sie Schülerredaktionen aufbauen.

Was können Frauen dazu beitragen?

Eine Chance wäre, weibliche Fußballberichterstattung zu einer eigenen Marke zu entwickeln – wofür es natürlich interessierte Sender bräuchte. Das könnte im Übrigen auch positive Effekte für die Einschaltquoten haben. Qualitativ neuartige Formen und Wege könnten neben den gewohnten Ritualen zusätzlich neue Männer und Frauen binden.

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