Eskalation bei Demo in Bremen: Israelfeinde außer Kontrolle

Bei einem Spontanprotest gegen israelische Militäreinsätze kommt es zu einer Attacke auf einen taz-Redakteur. Die Rolle der Polizei ist zweifelhaft.

Aus dem Ruder gelaufen: Bremer Demonstration gegen israelische Militäreinsätze. Bild: Jean-Philipp Baeck

BREMEN taz | Sonntagnacht, zwischen zwölf und ein Uhr früh. „Kindermörder Israel!“ und „Allahu Akbar!“ (Gott ist groß) schallt es in Sprechchören durch das Bremer Steintor-Viertel: Etwa 150 junge Männer ziehen mit Palästina-Fahnen durch die Straße. Schon am Vorabend war hier spontan demonstriert worden wegen des Vorgehens der israelischen Armee gegen die Hamas und ihren Raketenbeschuss. Ich nehme meine Kamera, um die Demonstration zu dokumentieren. Ich ahne nicht, wie der Abend enden wird.

Die Männer, teilweise noch Jugendliche, wirken aufgeheizt. Einer gibt per Megafon die Parolen vor: „Freiheit für Gaza!“ – „Israel – Terroristen!“ – „Zionisten sind Faschisten!“. Einer schwenkt eine Palästina-Flagge, manche posieren für die Kamera, präsentieren T-Shirts: „Boycott Israel Apartheid“.

In einigem Abstand hinter der Demo fährt ein Mannschaftswagen der Polizei. Ob sie mitbekommen, was da gerufen wird, frage ich die Beamten durchs Seitenfenster. „Freiheit für Palästina“, sagt einer, mehr wisse er nicht.

Ostertorsteinweg/Ecke Weberstraße kommt die Demo zum Stehen. Schreie, Gerangel. Ich will sehen, was genau passiert. Einige Männer gestikulieren, die Stimmung ist aggressiv. Ich halte die Kamera hoch. Auf einmal greift jemand danach, dann noch einer. „Hör mal auf“, sage ich. Wieder langt einer ans Objektiv. Ich schiebe mich aus der Menge, spüre Griffe, Stöße, einen Tritt in meine Seite. Ein Mann reißt mir plötzlich die Kamera vom Gurt. Ich schaffe es, sie festzuhalten.

Zu Ausschreitungen ist es am Samstag im hessischen Frankfurt/Main gekommen. Zunächst hatten nach Polizeiangaben bis zu 2.000 Menschen friedlich gegen das israelische Vorgehen im Gaza-Streifen demonstriert.

Nach dem Ende des angemeldeten - aber offenbar erheblich größer als erwartet ausgefallenen - Protests seien aus einer Gruppe von Demonstranten Steine auf Polizisten geworfen und sechs Beamte verletzt worden.

Zwecks Deeskalation überließ die Polizei den Demonstranten zeitweise einen Lautsprecherwagen - mit dem dann auch israelfeindliche Parolen verstärkt wurden. Frankfurts Polizeipräsident Achim Thiel bedauerte gegenüber dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, den etwaigen Eindruck, die Polizei mache sich die Protestparolen der Demonstranten zu eigen.

Weitere Demonstrationen gab es unter anderem in Berlin und Dortmund.

Ich rufe laut um Hilfe: „Polizei, Polizei!“ Passanten werden aufmerksam, kommen mir entgegen. Die Beamten bleiben in ihrem Wagen sitzen. „Sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen“, sagt mir einer durchs heruntergelassene Fenster. „Zu ihrer eigenen Sicherheit.“ Und auf Nachfrage: Ja, das sei sein Ernst. Hilfe bekomme ich keine.

In dem Moment sehe ich, wie ein Demonstrant einem Passanten unvermittelt mit der Faust ins Gesicht schlägt: vor meinen Augen und keine fünf Meter vor dem Polizeiwagen. Der Attackierte knallt, offenbar bewusstlos, mit dem Hinterkopf auf den Asphalt. Er bleibt regungslos liegen. Umstehende eilen hinzu, irgendjemand bringt den Mann in die stabile Seitenlage.

Ich rufe den Polizisten zu, dass sie einen Rettungswagen holen sollen. Jetzt steigen sie aus, der Notarzt sei schon alarmiert, sagen sie. Der Verletzte liegt immer noch da, regungslos. Nach vielleicht zehn Minuten kommt der Krankenwagen, er nimmt den Bewusstlosen mit. Da, wo sein Kopf lag, bleibt eine Blutlache am Boden zurück.

Die 150 aufgebrachten Männer sind da schon weitergezogen. Später erklärt die Polizei, die Demonstranten seien noch eine Stunde lang durch die Innenstadt gelaufen, von Polizisten zu Fuß begleitet. „Aus dem Demonstrationszug kam es zu einem Flaschenwurf in Richtung begleitender Einsatzkräfte und Blendattacken mit einem Laserpointer“, heißt es tags darauf in einer Pressemitteilung. „Im Bereich des Ostertorsteinwegs wurde aus der Gruppe der Demonstranten ein 28 Jahre alter Mann schwer verletzt, der sich schützend vor einen Journalisten gestellt hatte.“ Der Schwerverletzte liege immer noch auf der Intensivstation, schwebe aber nicht in Lebensgefahr.

Die Polizei ermittle wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung, auch das teilt sie mit. Neben dem einen Mannschaftswagen seien noch mehr Beamte im Einsatz gewesen, sagt mir am Sonntag ein Polizeisprecher – nur eben nicht sichtbar. Dieses Vorgehen habe aus ihrer Sicht „funktioniert“.

Vor dem Überfall im Ostertorviertel waren die Demonstranten schon mehr als eine Stunde lang unterwegs gewesen. Im Nachhinein erfahre ich, dass aus der Demo heraus ein pöbelnder Passant mit „Scheiß Juden!“ beschimpft worden sein soll. Ich höre auch, dass der Passant, der dem Verletzten geholfen hat, ein ausgebildeter Sanitäter ist. Er sagt, er habe die Uniformierten mehrfach nach ihrem Verbandskasten gefragt, ihn aber nicht bekommen. Allerdings habe ihm ein Mann geholfen, der höchstwahrscheinlich Polizist in Zivil gewesen sei.

Zu der Rangelei in der Seitenstraße, den Ausgang der Eskalation, kam es offenbar, weil ein Zuschauer den Demonstranten den gestreckten Mittelfinger gezeigt haben soll.

Es gelingt mir, den Mann ausfindig zu machen: Er habe länger in Israel gelebt, sagt er, er verstehe auch Arabisch. Irgendwie sei es so zu dem Stinkefinger gekommen. Auch er sei ins Gesicht geschlagen worden und habe jetzt ein blaues Auge. Einer der Demonstranten habe ihn aus der Menge gezogen. „Verpiss dich“, habe er gesagt, „die killen dich.“

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