Lahm sagt Tschüss: Oh Captain! Our Captain!

Philipp Lahm tritt überraschend als Nationalspieler zurück. Mit dem WM-Titel hat er seine Laufbahn gekrönt – aber sein Rückzug wirft Fragen auf.

Lahms letzter Akt im DFB-Dress Bild: reuters

Dass dieser Mann mal sehr wichtig für das deutsche Nationalteam werden könnte – man hat es geahnt. Die WM 2006, im Sport-Almanach heute unter S wie „Sommermärchen“ zu finden, war gerade 6 Minuten alt. Deutschland spielte gegen Costa Rica, das damals im Nachschlagewerk noch unter E wie „Exoten“ zu finden war.

Dieser junge flinke Mann, aus München stammend, zog auf der linken Außenbahn nach innen und schlenzte den Ball lehrbuchmäßig in den rechten oberen Winkel. Das Sommermärchen hatte sein Initiationsereignis.

Aus dem jungen flinken Mann ist inzwischen ein etwas älterer flinker Mann geworden, der am vergangenen Sonntag in Rio Weltmeister wurde – als Kapitän der Nationalmannschaft. Damit hat dieser Philipp Lahm, von dem die Rede ist, im Prinzip alles erreicht, was man als Fußballer erreichen kann. Gut, es fehlt noch ein Europameistertitel.

Diesen Titel wird der 30-Jährige allerdings nun nicht mehr gewinnen können. Am Freitagmorgen kündigte Lahm überraschend seinen Rückzug aus dem DFB-Team an. Zuvor hatte er Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach unterrichtet. „Der Entschluss ist in mir während der letzten Saison gereift“, erklärte Lahm.

Philipp Lahm, 30, bestritt 113 Länderspiele für das DFB-Team und schoss dabei fünf Tore. Er erreichte zwei dritte Plätze bei Weltmeisterschaften (2006, 2010), ehe er das Team 2014 als Kapitän zum Titel führte. Bei der EM 2008 wurde er Vizeeuropameister, 2012 erreichte er das Halbfinale.

„Mehr geht halt nicht!“ (Rudi Völler)

„Er kann auf seine Laufbahn stolz sein, er ist ein großartiger Spieler mit Herz, Leidenschaft und Charakter, der viel für den DFB geleistet hat.“ (Joachim Löw)

„Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ihm meinen großen Respekt auszusprechen für das, was er für die Nationalmannschaft getan hat.“ (Angela Merkel) (dpa)

Fast alles erreicht

Lahms Nationalmannschaftskarriere begann am 18. Februar 2004 gegen Kroatien, das DFB-Team wurde damals noch von Rudi Völler trainiert. Lahm war fortan bei allen großen Turnieren seit der EM 2004 dabei. Meistens als Außenverteidiger, zuletzt auch zwischenzeitlich im defensiven Mittelfeld, worum es eine Debatte gab, die heute im WM-Almanach unter L wie „Lahm-Debatte“ zu finden ist.

Lahm steht pars pro toto für die Neuerfindung des Ballsports, die dem DFB nach der EM 2004 in Portugal (Vorrundenaus) mit der Installierung von Jürgen Klinsmann und später Joachim Löw als Coaches gelang.

Lahm sprach in seiner Autobiografie „Der feine Unterschied“ 2011 von einer anderen Epoche des Fußballs: „Wie professionell die Arbeit mit den Nationalspielern überhaupt sein kann, erlebe ich sowieso erst nach dem Debakel bei der EM 2004 in Portugal.“ Im Buch bestritt er übrigens auch an exponierter Stelle das wiederkehrende Gerücht, er sei schwul.

Der Capitano nach dem Capitano

Als Kapitän lief Lahm erstmals im Mai 2009 gegen China auf. Bei der WM 2010 in Südafrika, bei der das DFB-Team (Dritter) begeisterte, wurde er als Stellvertreter des verletzten Capitano Michael Ballack dessen Ersatz. Und überraschte dann mit dem Anspruch, nun selbst zum Capitano werden zu wollen: „Wieso sollte ich das Amt freiwillig abgeben?“, fragte er öffentlich.

Als Löw Ballack später ausbootete, musste Lahm sich diese Frage nicht mehr stellen. Inzwischen war er auch Kapitän beim FC Bayern geworden.

Und doch blieben immer auch Zweifel an seinen Führungsqualitäten, bei Bayern stellte man Bastian Schweinsteiger (der nun sein Nachfolger werden könnte) genauso gerne als heimlichen Kapitän dar wie in der Nationalmannschaft. Und dann die leidige Debatte nach den echten Typen mit Führungsqualitäten, in die sich ein eher sachlicher, ruhiger Kapitän wie Lahm natürlich bestens fügte – spätestens seit vergangenem Sonntag dürfte dies Geschwätz von gestern sein.

Und natürlich, es scheint nun sinnvoll, aufzuhören, wenn man auf dem Gipfel angekommen ist. Aber schon mit 30 Jahren? Als topfitter Abwehrspieler auf der Höhe seines Schaffens? Wo er noch gut hätte Rekordnationalspieler werden können?

Es gibt noch keine Antworten auf diese Fragen. Nur so viel: Philipp Lahm ist einer, der bislang immer unbeirrt und entschlossen seinen Weg gegangen ist. Dies setzt er nun fort.

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