Debatte Landtagswahl in Sachsen: Bloß keine Nestbeschmutzer

Das südöstliche Bundesland gibt sich gern selbstverliebt. Dieser Patriotismus wird von Parteien jeglicher Couleur auch noch gestützt.

Das Reiterstandbild König Johanns am Theaterplatz in Dresden. Bild: dpa

In Sachsen geht ein Wahlkampf zu Ende, der keiner war. Die CDU-geführte Regierung hat den Wahltermin bewusst aufs Ferienende gelegt, um echter politischer Auseinandersetzung zu entgehen. So kämpften die Wahlkämpfer in den Sommerferien vor allem gegen ein kollektives Aufmerksamkeitsdefizit. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verweigerte sich dem offenen Schlagabtausch eines TV-Duells, was einmal mehr sein paternalistisches Demokratieverständnis bloß legte.

Wenige Tage vor der Wahl verengt sich die Kernbotschaft dieses inhaltlich entkernten Wahlkampfes parteiübergreifend auf ein einziges großes Thema: Sachsen. Dass selbst die Opposition dem grassierenden Landes-Patriotismus huldigt, ist schon vor der Wahl ein Triumph für Tillich und die CDU. Erst kommt die Liebe zum Land. Dann lange nichts.

Die FDP zum Beispiel hat versucht, dem Untergang durch die anbiedernden Parolen „Verliebt in Sachsen“ und „Sächsisch stark“ zu entgehen. Selbst die Linke traut sich Kritik nur auf dem Boden des gemeinsamen Nenners kollektiver Identität zu: Der landesweit grassierenden Fremdenfeindlichkeit setzt sie den Slogan „Sächsisch und weltoffen“ entgegen. Und belegt damit unfreiwillig die Gegensätzlichkeit der beiden Schlagworte. Die Linke kann gleichwohl für sich verbuchen, dem Wähler noch am ehesten konkrete Inhalte angeboten zu haben. Im Gegensatz etwa zu den Grünen, die im Sound moderner PR-Sprache säuseln: „Denn es ist möglich“. Was auch immer.

SPD-Kandidat Martin Dulig hat immerhin versucht, auf Missstände im Bildungsbereich und bei der Ausstattung der Polizei hinzuweisen. Kurz vor der Wahl lässt aber auch er großformatig plakatieren: „Für Sachsen“.

Sachsen überall

Sachsen ist in Sachsen allgegenwärtig. Morgens werden Radio-Hörer mit dem „Sachsen-Wetter“ belästigt. Als Mineralwasser gibt es „Sachsen-Quelle“. Ein großes Volksfest lädt zum „Tag der Sachsen“. Diese heimattümelnde Dauerberieselung leistet einer künstlichen Identität Vorschub, die Herkunft zum wichtigsten Merkmal erhebt. Am Leipziger „Minarett-Streit“ um den geplanten Bau einer Moschee kann man ablesen, dass dieses sächsische Selbstverständnis leicht mit einem krassen Toleranzdefizit einhergeht.

Die CDU hat es seit Kurt Biedenkopf erfolgreich verstanden, das Land zu vereinnahmen. Die CDU ist Sachsen und Sachsen ist CDU. Das erinnert an Bayern, aber auf dem sächsischen Sonderweg geht es geräuschloser zu. Während die CSU ihre Vormachtstellung immer noch gern kraftstrotzend zur Schau stellt, lullt Tillichs CDU ihr Land mit Fürsorglichkeit ein. Die Kernbotschaft lautet: Ihr werdet gut regiert und braucht euch nicht darum zu kümmern. Sämtliche CDU-Kandidaten werben auf Plakaten: „Mit Mut. Mit Weitsicht. Miteinander.“

Bloß keine Kritik

Dieses diskursfeindliche Klima setzt sich bis in die Kommunen fort und macht zivilgesellschaftlichen Initiativen das Leben schwer. Wer Teilhabe einfordert und sich gegen Neonazis engagiert, wird schnell als Nestbeschmutzer denunziert.

Eine Mehrheit in Sachsen hat offenbar die Sicht der Landesregierung verinnerlicht: Es läuft gut in Sachsen. Die sozialen und gesellschaftlichen Missstände werden nicht der Regierung angelastet. Zwar demonstrieren Erzieher für einen besseren Kita-Schlüssel, und Lehrer streiken regelmäßig für bessere Arbeitsbedingungen. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt Sachsen der Pisa-Musterschüler. Wer das kritisiert, gerät in den Verdacht, das Land schlecht zu reden.

NSU? Kann warten

Selbst Skandale, die überregional Aufsehen erregen, bleiben politisch folgenlos. Die illegale Funkzellenabfrage durch die Ermittlungsbehörden während der Dresdner Anti-Nazi-Demonstrationen beschäftigte die überregionalen Medien sehr viel stärker als die einheimischen. Auch die ineffiziente Arbeit des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses ist in Sachsen kein Thema. Während Thüringen gerade einen akribisch erarbeiteten Abschlussbericht mit aufsehenerregenden Schlussfolgerungen vorgelegt hat, haben die sächsischen Kollegen unter CDU-Vorsitz die meisten der vorgesehenen Zeugen noch gar nicht vernommen.

Und es steht nicht fest, ob die Arbeit in der neuen Legislaturperiode überhaupt fortgesetzt wird. Lange nannten Regierungsvertreter die in Sachsen untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt das „Jenaer-Terror-Trio“ und luden so alle Verantwortung auf Thüringen ab. Der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig hat sich früh darauf festgelegt, dass die eigenen Behörden keinerlei Schuld an dem Sicherheitsdesaster tragen. Diese absurde Deutung herrscht bei Verantwortlichen bis heute. Die Opposition tut sich schwer, das Versagen anzuprangern. Mit dem Thema Neonazis lassen sich keine Stimmen gewinnen.

Geschmacklose Einladungen

Die Wahl am Sonntag wird an diesen Zuständen nichts ändern. Die CDU wird weiter regieren, selbst wenn die FDP wie erwartet aus dem Landtag fliegen sollte. Sollte Tillich die absolute Mehrheit verfehlen, stünden sowohl SPD als auch Grüne und sogar die AfD als Partner bereit. Tillich hat eine Koalition mit der AfD nicht ausgeschlossen, auch wenn die Partei zuletzt durch die geschmacklose Einladung des österreichischen FPÖ-Politikers Andreas Mölzer aufgefallen war. Mölzer wiederum hatte vor einem europäischen „Negerkonglomerat“ gewarnt.

Die AfD scherte aus dem Chor der Sachsen-Liebhaber aus und plakatierte schwarz-rot-golden unterlegt: „Mut zu Deutschland“. Sie könnte mit diesem nationalistischen Alleinstellungsmerkmal ebenso zu den Gewinnern gehören wie die NPD, die bei schwacher Wahlbeteilung auf den erneuten Einzug in den Landtag hoffen darf.

Gegen einen beliebten Ministerpräsidenten zu punkten, ist immer schwer, zumal, wenn er sich nahezu unsichtbar macht. Schon jetzt ist erkennbar, dass die Opposition links von der CDU nicht nennenswert von der Strategie profitieren wird, den Stolz auf Sachsen zur eigenen Argumentationsbasis zu machen. Als Verlierer steht schon vor dem Wahlgang der demokratische Meinungsstreit fest.

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