Die Wahrheit: Gender ditt und Gender datt

Wie viele Geschlechter braucht der Mensch? Und wie viele der Facebook-Nutzer? Mal mehr, mal weniger? Oder nullkommanull hoch drei?

Aufs Neue ist eine epochale Einsicht zu vermelden: Eine Redensart entschwindet, weil sie in der ach so komplizierten Gegenwart die entsprechende Eigenschaft nicht mehr auf den Punkt bringt. Nehmen wir den Ausdruck, jemand wisse nicht mehr, ob er Männlein oder Weiblein sei. Falls es Ihnen nicht sofort etwas sagt: Es bedeutet, jemand ist verwirrt, in diffuser Stimmung oder vollends erschöpft.

Wer sich heutzutage in einem Nu diese Frage stellt, rätselt vielleicht lachhaft simpel. Zwei Geschlechter? Wir vermögen mittlerweile so tief, um nicht zu sagen: abgründig in uns zu gehen und treffen im Zweifelsfall auf 58 oder 60 Möglichkeiten, unser geschlechtliches Identitäterä präzise zu bezeichnen.

Seit Februar diesen Jahres bietet Facebook in den USA den Nutzern 58 Geschlechtsvarianten an. Jüngst hat die deutschsprachige Version 60 Bezeichnungen eingerichtet, die man oder frau oder wer auch immer anklicken kann unter dem Stichwort „benutzerdefiniert“. Was es nicht ganz trifft, denn nichts ist selbst zu schildern, sondern ein Profil auszuwählen. Jetzt müssen wir uns nicht mehr zwischen „männlich“ und „weiblich“ entscheiden, sondern für eine mehr oder minder maßgeschneiderte Charakterisierung. Manche der angebotenen Begriffe gleichen oder ähneln einander, das sieht schon der Laie. Die Unterschiede versteht derjenige, der die Feinheiten je nach Land, Sprache oder Community durchblickt.

Der Mensch darf nun verlautbaren, wie er sich wahrnimmt, ob als androgyn oder bigender, ob gender variabel oder genderqueer, ob geschlechtslos oder nicht-binär, ob inter* ditt oder inter* datt, ob Zwitter, Hermaphrodit, Two Spirit drittes oder viertes Geschlecht und so fort.

Offenbar ist das Spektrum eine Wissenschaft für sich, zugleich berührt es die Selbstempfindung zahlreicher Zeitgenossen, die „diese Zwischenstufen, diese feinen Nuancen“ brauchen, wie der Vorsitzende des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland, Axel M. Hochrein, in einem Interview sagte. „Wem tun wir denn weh, wenn wir ihnen diese Auswahl zugestehen?“ Das stimmt selbstverständlich.

Für dieses „Experiment“ unterstützte der Verband die deutschsprachige Fassung von Facebook. Ob die Zahl der Möglichkeiten wachsen oder reduziert wird, werde sich zeigen.

Ich frage mich jedoch nebenbei, ob dies nicht genau die Schwierigkeit ist, in die solch ein wohlmeinendes Vorhaben gerät. Ein Begriff ist notwendigerweise eine Verallgemeinerung. Wenn jedes einzelne Menschlein auf den Begriff bringen möchte, wie es sich empfindet; wenn es seine Empfindung definieren will, haben wir am Ende eine Unzahl, die nichts mehr bedeutet. Das Menschlein beschreibt schließlich seine Gender-Befindlichkeit wie einen Wein nach der Verkostung. Und nächste Woche fühlt es sich wiederum anders an.

Nun ja, letztlich eventuell spannender wird es zu verfolgen sein, wie Facebook die geschlechtliche Vielfalt beispielsweise in der arabischen, kisuahelischen oder ukrainischen Fassung präsentieren wird.

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