Parlamentswahl in der Ukraine: „Mit dem Maidan muss Schluss sein“

In der Hauptstadt Kiew läuft die Abstimmung weitestgehend reibungslos ab. Die Wähler hoffen vor allem auf Stabilität und Frieden im Donbass.

Ein verwundeter Soldat stimmt am Sonntag in einem Kiewer Krankenhaus ab. Bild: dpa

KIEW taz | Pünktlich um acht Uhr öffnet das Wahllokal Nr. 222 in der Kiewer Schule 173 auf dem Vidratnij Prospekt seine Tore. Zwei Dutzend „Babuschkas“ machen sich sofort auf den Weg zu den Wählerlisten in der Eingangshalle. Die meisten von ihnen warten schon seit 7 Uhr morgens auf den Einlass. Ihnen war ganz entgangen, dass die Ukraine in der Nacht wegen der Winterzeit die Uhren eine Stunde zurückgestellt hatte.

Übereinstimmend erklären sechs anwesende Wahlbeobachter der Parteien am frühen Nachmittag, es habe in ihrem Wahllokal keine Unregelmäßigkeiten gegeben. Offen bleibt die Frage, warum von 29 Parteien, die zur Wahl antreten und alle einen Wahlbeobachter entsenden dürfen, dies nur sechs getan haben. Meldungen, Wahllokale würden von paramilitärischen Einheiten geschützt, weisen sie von sich.

Es ist vor allem eine Erwartung, die die Menschen dazu bewegt, ihre Stimme abzugeben: die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges und soziale Gerechtigkeit. „Wir haben soviel auf dem Maidan geopfert“ meint Irina, Lehrerin für Geographie. Ihre Tochter stimmt ihr zu. „Jetzt muss Schluss sein mit Revolution. Wir brauchen ein stabiles Land, warme Wohnungen und vor allem Frieden im Donbass.“

Auch Vadim, ein Elektroingenieur, schließt sich dem an. „In einem Jahr hat sich in unserem Land mehr geändert als in zwanzig Jahren zuvor. Wir haben nicht nur das Land revolutioniert. Auch unser Denken hat sich radikal gewandelt. Und diese neuen Gegebenheiten müssen ihren Ausdruck finden in einem völlig neuen Parlament.“

Alles Kinder der Sowjetunion

Illusionen habe er keine, meint der Ingenieur. Nun gehe es auch darum, die Kredite zurückzubezahlen, die man von der internationalen Gemeinschaft erhalten habe.

Er werde für die „Volksfront“ von Premier Arseni Jazenjuk stimmen, erklärt Wladimir, ein Professor für Psychologie. „Jazenjuk und Poroschenko sind Profis. Ihnen vertraue ich meine Stimme an.“ Auch Swetlana, eine Köchin, hat im Wahllokal in der Schule Nr. 174 in der Straße der Helden von Sewastopol ihre Stimme der Partei von Poroschenko gegeben. „Wir sind doch alle Kinder der Sowjetunion. Es gibt keine reinen Ukrainer oder reinen Russen. Wir haben alle ukrainisches, russisches, mitunter auch polnisches oder ungarisches Blut. Und in so einer Situation wie heute darf man seine Stimme nicht den Nationalisten geben, die den Krieg weiter anheizen wollen.“

Doch es gibt auch andere Stimmen. „Ich gehe nicht wählen“, erklärt die Rentnerin Nadja. Sie habe fast zwanzig Jahre in Russland gelebt. Doch die ukrainischen Behörden rechneten ihr diese Zeit nicht auf ihre Rente an, Russland wolle aber auch nicht bezahlen. Deswegen müsse sie mit einer Mindestrente von 60 Euro auskommen. „Das sind alles Banditen, in Kiew genauso wie in Moskau. Man denkt an alles, nur nicht an uns Rentner.“

Bis Redaktionsschluss lagen nach Angaben von Wahlbeobachtern des Komitees der Wähler der Ukraine keine Meldungen über Fälschungen im größeren Ausmaß vor.

Lediglich aus Odessa berichtet der Wahlbeobachter Anatoli Bojko laut Nachrichtenagentur UNIAN, dort sei ein Student beobachtet worden, der seinen Wahlzettel in der Urne fotografiert habe. Er habe gestanden, für seine Stimme 15 Euro zu bekommen. Als Beweis habe er seinen Stimmzettel fotografieren müssen.

Im Gebiet Donezk, das weitgehend von den Kämpfern der „Volksrepublik Donezk“ kontrolliert wird, war in 12 von 21 Stimmbezirken gewählt worden, berichten Wahlbeobachter vom „International Media Center“ in Kiew.

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