Entwicklungsminister Gerd Müller: „Frieden schaffen wir ohne Waffen“

Gerd Müller (CSU) will die deutsche Entwicklungshilfe wieder entmilitarisieren und die Kleinbauern stärken. Die großen deutschen Textilfirmen erschüttern ihn ein wenig.

Früher war er Agrarstaatssekretär, heute hat er ein Herz für Kleinbauern: Gerd Müller im Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Quedlinburg. Bild: dpa

taz: Herr Müller, haben Sie eigentlich den dankbarsten Job im Kabinett? Als Nachfolger von Dirk Niebel kann man doch nur brillieren.

Gerd Müller: Es ist auf jeden Fall ein sehr erfüllender Job. Das Interesse, etwa bei Veranstaltungen, an unseren Aufgaben ist gewaltig, und die Menschen erwarten Lösungen – und das zu recht.

Manche Reden, die man von Ihnen liest, könnten auch von Ihrer Vorvorgängerin stammen. Sehen Sie sich in der Tradition der „roten Heidi“?

Heidemarie Wieczorek-Zeul schätze ich sehr. Ich bin in der Zeit politisch sozialisiert worden, als sie Vorsitzende der Jungsozialisten war. Uns eint das Ziel der Gerechtigkeit.

Wenn man sich statt der Reden die Zahlen anschaut, bleibt von den großen Ankündigungen allerdings nicht viel übrig. Der Haushalt ist eher auf dem Niebel-Niveau geblieben.

In der Kanzlerschaft von Angela Merkel wurde der Haushalt des BMZ in absoluten Zahlen nahezu verdoppelt. Und in diesen vier Jahren bekomme ich einen Aufwuchs von zwei Milliarden.

Aber von den internationalen Zusagen sind Sie so weit weg wie zuvor. 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung wollte Deutschland 2015 für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, doch der Wert stagniert bei 0,38 Prozent.

Ich bekomme für die nächsten Jahre einen stetigen Aufwuchs. Aber wir erreichen das gesetzte Ziel im Augenblick nicht – das stimmt. Ich kämpfe deshalb weiter dafür, aber ich beschränke die Bedeutung unserer Arbeit nicht allein auf Geldsummen. Entscheidend ist, was wir aus dem Geld machen, zum Beispiel mit unserer Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“.

Die Entwicklungspolitik setzt dafür vor allem auf eine Stärkung der lokalen, kleinbäuerlichen Strukturen. In Ihrem vorigen Job als Agrarstaatssekretär haben Sie hingegen massive Nahrungsmittelexporte aus Deutschland verantwortet, die lokale Märkte gefährden. Ein Fehler aus heutiger Sicht?

Wir brauchen in den Entwickungsländern die Bewegung von unten, die Stärkung von Kleinbauern. Das ist mein Ansatz.

59, CSU, ist Bauernsohn und studierter Lehrer aus dem bayerischen Schwaben. War Junge-Union-Vorsitzender unter Franz Josef Strauß in den Achtzigern, Staatssekretär für Landwirtschaft und Ernährung unter Seehofer und Aigner und führt seit einem Jahr das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kabinett Merkel III. Verheiratet ist er mit einer Niederländerin, sie haben zwei Söhne.

Also war Ihr früherer Ansatz falsch?

Das stimmt ja so nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben die Agrarexportpolitik in den letzten fünf Jahren grundlegend verändert. Es gibt keine Exportsubventionen mehr. Und ich werde bei Freihandelsabkommen wie dem TTIP genau darauf achten, dass die Märkte Afrikas nicht überrollt werden.

Ein weiteres Projekt von Ihnen ist das Bündnis für nachhaltige Textilien. Da macht bisher aber kein großer Konzern mit. Ist die Sache schon gescheitert?

Nein. Ich möchte keine Kleider tragen, die in Sklavenarbeit hergestellt werden oder die keinerlei ökologisch Grundstandards erfüllen. Und vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern geht das ebenso. Darum appelliere ich an die deutsche Textilwirtschaft, weltweit verbindliche Mindeststandards umzusetzen. Das ist das Angebot des Textilbündnisses.

Aber dieser Appell stößt bisher auf taube Ohren.

Ich bin schon ein wenig erschüttert, dass ich bei den großen Mode- und Textilfirmen in Deutschland über Selbstverständlichkeiten reden muss. Das sollte eigentlich überhaupt keine Diskussion sein.

Aber Fakt ist: Die großen Akteure machen nicht mit. Braucht es vielleicht doch gesetzliche Regeln statt Appellen?

Wenn es keine Fortschritte gibt, wird die Phase der Freiwilligkeit irgendwann ein Ende haben. Als ersten Schritt werden wir uns ab Januar an die Verbraucher wenden und genau darstellen, wer mitmacht und wer nicht. Die Verbraucher können dann ihr eigenes Urteil abgeben am Markt.

Ziehen Sie selbst auch Konsequenzen? Ihr Anzug sieht nicht gerade so aus, als käme er von einem Öko-Fair-Anbieter.

Der stammt von einem großen schwäbischen Hersteller. Ich orientiere mich da bisher an den freiwilligen Standards der Hersteller für Corporate Social Responsibility. Die werden wir ab Januar einem Qualitätscheck unterziehen. Mein Ziel ist, dass ich in einem Jahr ein Sakko mit einem „grünen Knopf“ tragen kann. Der soll signalisieren, dass die Anforderungen des Textilbündnisses erfüllt sind. Darum rufe ich noch einmal dazu auf, dass sich die deutsche Textilwirtschaft dem anschließt.

Gibt es dafür einen Termin?

Nein. Ich kann es nur noch mal betonen, ich setze auf die Kraft der Argumente.

Der Staat ist ja selbst auch ein großer Kunde, der Druck auf den Markt ausüben könnte. Wird bei staatlichen Ausschreibungen künftig auf faire Produktionsbedingungen geachtet werden – etwa bei neuen Uniformen für die Bundeswehr?

Natürlich schauen wir uns auch das öffentliche Beschaffungswesen an. Wir selbst wollen auch als faire Behörde mit gutem Beispiel vorangehen. Wir prüfen die rechtlichen Rahmenbedingungen. Aber das ist ein Großprojekt, das lässt sich nicht auf Knopfdruck erledigen.

Um beim Thema Bundeswehr zu bleiben: Ihr Vorgänger hat ja für eine enge Verzahnung von Militäreinsätzen und Entwicklungspolitik plädiert, etwa in Afghanistan. Wie sehen Sie das?

Viele unserer Partnerorganisationen haben sich sehr deutlich dagegen ausgesprochen. Wir leisten humanitäre Hilfe und Aufbauhilfe, unabhängig von einer Freund-Feind-Einstufung. Mit unseren Initiativen zum Bau von Schulen und Krankenhäusern stehen wir nicht auf der einen oder der anderen Seite, sondern tragen zur Befriedung und Stabilisierung bei. Nur im Extremfall ist militärische Hilfe zur Notwehr wichtig.

Sie haben sich wiederholt kritisch zu Rüstungsexporten geäußert und ebenso kritisch zur Rolle Katars im Syrienkonflikt. Jetzt hat der Bundessicherheitsrat, in dem Sie Mitglied sind, den Export von Militärfahrzeugen nach Katar genehmigt. War das richtig?

Dazu kann ich nichts sagen. Die Entscheidungen des Bundessicherheitsrats unterliegen der Geheimhaltung.

Sie müssen ja nicht sagen, wie Sie abgestimmt haben, sondern nur, wie Sie den Export persönlich beurteilen.

Der Entwicklungsminister vertritt traditionell eine zurückhaltende Grundsatzlinie: gegen die Lieferung in Spannungsgebiete. Frieden schaffen wir nicht mit mehr Waffen in der Welt.

Also überstimmt worden … trotzdem schwärmen Sie sehr von Ihrem Ressort. In der CSU hätten sich aber viele ein einflussreicheres Ministerium gewünscht, oder?

Nein, Horst Seehofer hat das Entwicklungsressort bewusst gegriffen und mich vorgeschlagen, weil er es als Zukunftsressort sieht. Wir beschäftigen uns mit den globalen Fragen und sind damit ein wichtiger Teil der Außen- und Europapolitik.

Ihr Amtsvorgänger ist nach der Wahl ja nahtlos zum Waffenlobbyisten geworden. Für eine solche Karriere scheinen Sie sich gerade nicht zu qualifizieren. Was wollen Sie denn hinterher machen?

Darüber denke ich nicht nach. Ich habe ja noch eine Zukunft im Amt.

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