Illegale Festnahmen: Entführung ohne Folgen

Vor allem bei Demos sperrt die Polizei regelmäßig Menschen ohne richterlichen Beschluss für Stunden ein – das ist illegal, bleibt aber oft folgenlos.

Konfrontation: Demonstranten vor einer Polizeikette, die den NPD-Aufmarsch 2011 in Bremen schützt. Bild: dpa

BREMEN taz | Stundenlang, in nächtlicher Kälte und bei Regen, hatte die Polizei 2011 fast 1.400 AtomkraftgegnerInnen in einem Polizeikessel im Wendland eingesperrt. Bei Harlingen hatten sie versucht, die Schienen für den Castortransport nach Gorleben zu blockieren. Sie deshalb festzuhalten – überwiegend ohne richterlichen Beschluss –, war rechtswidrig. Es war eine illegale Freiheitsberaubung durch die Polizei, wie sie allzu häufig bei Demonstrationen vorkommt. Konsequenzen aber hat das keine: Das Landgericht Lüneburg entschied am Mittwoch, dass Niedersachsen kein Schmerzensgeld an die Betroffenen zahlen müsse.

Auch das Oberlandesgericht Bremen wies – ebenfalls am Mittwoch – die Klage eines Mannes auf Schadenersatz ab, der nach einer Antifa-Demo in Gewahrsam genommen wurde. Der Vorwurf, er habe einen Polizisten geschubst, wurde fallengelassen.

Neben Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und 4.000 anderen hatte der Mann im April 2011 gegen einen Aufmarsch der NPD protestiert. Er hatte den Polizisten seinen Ausweis gezeigt – die Identität stand somit fest. Ohne richterlichen Beschluss aber war er trotzdem für vier Stunden in der Polizeiwache gefangen.

Die Freiheit der Person darf laut Grundgesetz und Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) nur durch einen Richter entzogen werden.

In der EMRK regelt das Artikel 5, im Grundgesetz Artikel 104. Dort heißt es: "Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden."

Auf Schadensersatz hat laut EMRK jede Person Anspruch, bei der diese Regeln verletzt wurden.

Die Höhe einer Entschädigung legt das deutsche "Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen" mit "25 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung" fest. Das allerdings bezieht sich etwa auf die Zeit einer Untersuchungshaft, die zunächst rechtens und ordentlich durch einen Richter angeordnet wurde und bei der sich die Unschuld des Häftlings erst später herausstellt.

In den vorliegenden Fällen war die Freiheitsentziehung laut dem Urteil von Gerichten von Anfang an rechtswidrig.

„Objektiv rechtswidrig“ sei dieses Verhalten der Bremer Polizei gewesen, urteilte das Landgericht Bremen bereits im Juni 2014 und sprach dem Mann sogar Schmerzensgeld zu: 100 Euro sollte er erhalten. Das ist viermal so viel, als man pro Tag erhält, den man als Unschuldiger in Untersuchungshaft verbrachte. Eine solche Untersuchungshaft aber ist zunächst rechtens und ordentlich von einem Richter festgestellt worden. In diesem Fall war der Freiheitsentzug von Anfang an rechtswidrig.

„Es muss wehtun“

Für Sven Sommerfeldt, den Anwalt des Klägers, sind 100 Euro deshalb keine ausreichende Entschädigung. Die Oberlandesrichter ließen eine Revision nicht zu, er aber will weitermachen und Beschwerde einlegen – wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles. „Es geht auch um Abschreckung; es muss wehtun“, sagt Sommerfeldt. Für seinen Mandanten fordert er 2.500 Euro Schadenersatz wegen vorsätzlicher Freiheitsberaubung.

Das Strafverfahren gegen die PolizistInnen ist mittlerweile eingestellt. Wer als deren Vorgesetzter die Festnahme seines Mandaten anordnete, ließ sich angeblich gar nicht erst ermittelt. „Ein schönes Bild von einem Rechtsstaat“, sagt Sommerfeldt. In der Ausbildung und in Schulungen würde den Polizisten genau beigebracht, wann sie jemandem die Freiheit entziehen dürfen und wann es rechtwidrig ist. Trotzdem komm es zu oft vor, zu oft werde es nicht geahndet.

Für die Hamburger Anwältin Ulrike Donat vom Republikanischen Anwaltsverein hat dieser Umgang System: „Die Polizei versucht regelmäßig, polizeiliche Lagen durch Freiheitsentziehung zu bereinigen“, sagt sie. Das sei „gravierend“. Regelmäßig werde dies auch von den Gerichten als rechtswidrig verurteilt, nur ohne echte Konsequenzen. „Die Polizei benutzt Gewahrsam deshalb immer wieder als Bestrafungsinstrument“, sagt Donat. „Es hat ja keine Folgen, wenn sie sich rechtswidrig verhält.“ Seit Jahrzehnten werde dagegen geklagt. Das sei üblicherweise ein langer Rechtsweg, nur der Europäische Gerichtshof spreche grundsätzlich Schadenersatz zu.

Donat vertritt die fünf Castorgegner, die vor dem Landgericht Lüneburg wegen des „Harlinger Kessels“ auf 800 bis 1.000 Euro Schmerzensgeld geklagt hatten. Auch dort hielt das Gericht die Gewahrsamnahmen für rechtswidrig, lehnte die Zahlung von Schmerzensgeld aber ab, denn der Verstoß der Polizei sei „nicht hinreichend schwer“ gewesen, weil dieser „nur“ darauf beruhe, dass die Gefangenen nicht unverzüglich einem Richter vorgeführt wurden. Bereits die Feststellung der Rechtswidrigkeit sei eine „hinreichende Genugtuung“, urteilte das Landgericht.

Donat hält das für nicht verhältnismäßig: „Wenn Caroline von Monaco sich beleidigt fühlt, bekommt sie 100.000 Euro, wenn mir unrechtmäßig die Freiheit entzogen wird, bekomme ich nichts.“

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