Warum Krähen so krächzen

GEZETER Die Schreie der Rabenvögel hört man in Gruselfilmen. Dabei können sie auch sanft sein

VON HELMUT HÖGE

Krähen sind Singvögel, 1979 wurden sie vom Europäischen Parlament unter Schutz gestellt – und mit ihnen auch alle „Rabenvögel“ – zum Entsetzen der Jäger und vieler Singvogelfreunde. Denn mit Goethe könnten die Raben vielleicht sagen: „Es gibt nichts Schöneres auf Erden, als morgens eine Lerche zu hören und mittags eine zu essen.“

Krähen können Worte nachsprechen lernen und – vor allem Eichelhäher, die auch Rabenvögel sind – die Stimmen ihrer Feinde imitieren. Ihr „Gesang“ ist jedoch nicht schön und melodisch. Die Krähe heißt Krähe, weil ihre Rufe sich erst einmal wie Krähkräh anhören, die Raben heißen Raben, weil sie Rarara sagen.

Ich bin in der norddeutschen Moorlandschaft mit dem vielstimmigen Rak-Rak-Rak der Saatkrähen groß geworden. Im Winter kommen sie in Massen aus Osteuropa. Es klang besonders melancholisch-traurig, wenn es kalt und neblig war. „Totenvögel“ wurden die schwarzen Vögel deswegen auch genannt und noch heute werden in Hollywoodfilmen besonders beängstigende Szenen gerne mit ihrem Krächzen verstärkt.

Der Schriftsteller Geert Mak bemerkte auf einer Reise durch Russland – in Stalingrad –, dass abends im „Gedenkpark“ der Stadt „hunderte von Krähen als krächzende Schemen über die Baumwipfel streifen. Aus den Lautsprechern kommen Aufnahmen von Partisanenliedern.“ Der Biologe Cord Riechelmann hörte auf dem Kreuzberg „hastig, wie atemlos aufeinanderfolgende kurze hohe Arr-Arr-Rufe“ von Nebelkrähen, die bei einigen in „langanhaltende und langgezogene Ärr-Ärr- und Käär-Rufe übergingen.“ Ein großer Krähenschwarm in den Bäumen kann mit seinem Räk-Räk-Räk einen ohrenbetäubenden Lärm machen.

Die Rabenkrähen singen zärtlich Kr-Kr-Kr

Um diese Jahreszeit hört man von den Nebelkrähen und den ebenfalls permanent hier lebenden Rabenkrähen aber immer öfter auch ein zärtlich-sanftes Kr-Kr-Kr-Kr – besonders, wenn sie sich auf den Straßen- und Parkbäumen wieder in die Nähe ihrer alten Nester begeben haben. Die eher leisen, fast kollernden Töne gelten wahrscheinlich dem Partner. Diesem haben die Rabenvögel noch mehr zu sagen als das, ebenso ihren Kumpanen: Auf die Rufe von ihnen ehemals bekannten Individuen reagieren die Vögel nicht nur mit erhöhter Rufaktivität, sie ändern auch ihre Stimmlage, je nachdem, ob sie ehemalige Freunde oder Feinde hören. War die Bekanntschaft früher feindselig, antworten sie mit tiefen und rauen Lauten, hören sie jedoch einen Freund, dann rufen sie mit freundlicher Stimme zurück. Herausgefunden haben das zwei Wiener Biologen. Wir und viele andere Tiere halten es im übrigen genauso wie sie.

Je mehr ein Rabenvogel sich an einen oder mehrere Menschen gewöhnt hat und gefüttert wird, desto differenzierter werden seine Lautäußerungen: Aak Aak, Knrrrr, Krau Krau Krau, Krrrrr, Ieh. Wenn sie einen Menschen direkt ansprechen, kann man ein „Harck, Rak, Rrrrr, Harck, Rak“ hören.

In Berlin verlassen die Krähenjungen Mitte Juni das Nest, in dieser Zeit sind überall laute Rufe zu hören – die jungen Krähen sind noch ungeübte Flieger und werden ständig von den Kräheneltern ermahnt. Dieses Krächzen aus Besorgnis wechselt ab mit aggressivem Krächzen, das die Anwohner bisweilen nervt. Es gilt möglichen Feinden, zuvörderst den Menschen, aber auch Artgenossen, die dem Brutrevier nahekommen. Gelegentlich werden einzelne Passanten sogar laut schimpfend körperlich angegriffen. „Besonders schlimm hat es die nordfriesische Stadt Niebüll erwischt: Hier sorgen 1.000 Krähenpaare dafür, dass die Einwohner keine Ruhe mehr finden,“ schrieb die Welt.

In Schleswig-Holstein beobachtete man, dass sich Nebel- und Rabenkrähen gelegentlich verpaaren. Die kleineren schwarz-grauen Dohlen suchen dagegen nur die Nähe der anderen Arten, ihr häufigster Ruf ist ein „helles, klares Kjak oder Kja“, schreibt Cord Riechelmann in seinem Buch „Krähen“. Wenn sie sich angegriffen fühlen, stimmen sie dagegen laut Konrad Lorenz ein „wüstes Schnarrkonzert“ an, „erschreckend und satanisch“ anzuhören. Bei einer einzelnen wütenden Dohle klingt das wie „Ääh Ääh Äähr“. Es gibt jedoch regionale Dialekte, es mag deswegen sein, dass die österreichischen Dohlen, die Konrad Lorenz an sich gewöhnte, stärker schnarren als die norddeutschen.

Als sein Dohlenmännchen „Grün-Gelb“ sich mit der schönen „Gelb-Rot“ verlobte, schrieb Lorenz: „Die hätte ich auch genommen.“ Das ist kein naiver Anthropomorphismus, sondern Ausdruck einer subtilen Verhaltensforschung.

In Berlin gibt es immer weniger Nistplätze für Dohlen, deswegen sind sie hier selten geworden. Dafür sieht man mehr Elstern: „Heisere, kaputtstimmige Schreie zerreißen die morgendliche Stille“, so empfindet der Sänger, Dichter und Singvogelfreund Wiglaf Droste die „hässlichen Geräusche“ zeternder Elstern. „Dieser Nazivogel hört Böhse Onkelz und singt entsprechend“, schrieb er in der taz, was den Biologen Cord Riechelmann zu einer wütenden Replik bewog. Er musste jedoch auch zugeben: „Elstern sind selten still. Ihr Geschacker und Tschark-Geschirk kann sich von Herbst bis in den beginnenden Frühling, wenn sie sich in Städten zu Versammlungen von bis zu vierhundert Tieren treffen, zu Kreischkonzerten ausweiten, deren melodischer Anteil gering ist.“

Krähen sind weder schön noch künstlerisch begabt

Ursprünglich stammen die Krähenvögel aus der Inselwelt Neuguineas, genauso wie die Paradiesvögel und die Laubenvögel. Die beiden Letzteren leben dort immer noch, sind aber vom Aussterben bedroht. Währenddessen haben sich die Krähen nahezu über die ganze Erde verbreitet – und ziehen inzwischen massenhaft vom Land in die Städte. Das alles gelang ihnen, schreibt der Ökologe Josef Reichholf, weil diese schwarzen Vögel – im Gegensatz zu den bunten – sich irgendwann den „Fortschritt“ auf ihre Fahnen schrieben.

Die männlichen Paradiesvögel schaffen es mit ihrer Schönheit, die Weibchen zu beeindrucken, und den Laubenvögel gelingt es, sie mit farbigen Ornamenten in ihre eigens für sie gebaute Laube zu locken, wo sie sich blitzschnell mit ihnen verpaaren. Danach verdrücken sich die einen wie die anderen Männchen. Nicht so bei den Krähenvögeln. Sie können ebenso wenig wie die anderen beiden Arten klangvoll singen, sind aber weder künstlerisch begabt, noch können sie die Weibchen mit ihrer Schönheit beeindrucken, denn sie sehen diesen zum Verwechseln ähnlich.

Was also tun? Die Krähen beteiligen sich einfach am Nestbau, verteidigen es und ernähren die brütenden Weibchen, danach ziehen sie mit ihnen gemeinsam die Jungen groß. Diese „Idee“ war einst „superfortschrittlich“, wie Reichholf meint.

Die Menschen taten es ihnen später nach. Die Krähen sind unterdessen aber schon wieder weiter: In München zum Beispiel lebt bereits jedes zweite Weibchen mit zwei Männchen zusammen.

Cord Riechelmann, Judith Schalansky (Hg.): „Krähen. Ein Portrait“. Matthes & Seitz, Berlin 2013, 155 Seiten, 18 Euro