Abfallmanagement und Big Data: Die twitternde Mülltonne

Aktive Sensoren in Abfallbehältern können helfen, die Umwelt zu schonen. Aber ganz ungefährlich ist die neue Technologie nicht.

Kann Sprechen, hat aber meist ziemlich schlechte Laune: Oscar. Screenshot: Youtube

BERLIN taz | Das Internet der Dinge ist im öffentlichen urbanen Raum angekommen. Der Kühlschrank bestellt Bier nach, die leeren Flaschen werden in den Flaschencontainer gebracht und der meldet sich dann beim Abholer. Das macht eine finnische Firma möglich, die einen Sensor in Größe eines Eishockeypucks entwickelt hat, der in Abfallbehältern installiert wird.

Der Ultraschallsensor gibt unter anderem aktiv per SMS den Füllstand an. So wird eine Überfüllung verhindert und die Tonne nur dann geleert, wenn es sich lohnt. Unnötiges Anfahren wird vermieden. Das verringert Kraftstoffverbrauch – und somit CO2-Emissionen –, Arbeitsaufwand, Verkehrsaufkommen und -lärm. Die Einsparung bei der Abfalllogistik beläuft sich laut Angaben des Herstellers Enevo auf rund 40 Prozent.

Der Sensor gibt auch Auskunft über Temperatur und die Qualität der Internetverbindung. Die Temperatur des Mülls kann gerade im Sommer ein interessantes Kriterium für eine möglichst baldige Leerung sein. Für echte Fans: Unter @trashcanlife (Mülleimerleben) kann man auf Twitter automatisch generierten „trash talk“ von Mülltonnen aus der ganzen Welt verfolgen. Der Sensor kann in Recyclingtonnen für Glas-, Papier-, Textilien- und Elektroschrott- oder Biocontainern und bei Gemischtmüll eingesetzt werden.

Hauptkunden sind industrielle, kommerzielle und öffentliche Abfallentsorger, die jeweils einen monatlichen Betrag an den Betreiber zahlen. Das Gerät kann aber auch im privaten Bereich eingesetzt werden. Zurzeit sitzen die meisten Kunden noch in Europa, vor allem in Skandinavien, aber auch in nordamerikanischen Großstädten wie Boston und New York und in Japan wird das Produkt vertrieben.

Verdoppelung angestrebt

Noch sind solche Systeme nur für Länder interessant, die bereits über ein ein entwickeltes Müll- und Recyclingmanagement verfügen. Aber Firmengründer Fredrik Kekäläinen sieht auch in den indischen Megastädten ein großes Potenzial. Enevo strebt 2015 eine Verdoppelung der jetzigen 200 Kommunen und privaten Großkunden in über 30 Ländern an. Der Sensor wird in Deutschland seit einem Jahr von German EcoTec vertrieben, in Finnland gibt es das Produkt seit 2013. Kunden in Deutschland sind zurzeit in 20 Städte und Kommunen sowie 12 private Entsorger, sagt German EcoTec-Geschäftsführer Andreas Rochlitz.

Ganz neu ist die Idee mit den cleveren Tonnen allerdings nicht. So verkauft die Firma SmartBin aus Dublin bereits seit 2010 sensorbasierte Müllmonitoringsysteme und ist in über 30 Ländern vertreten. Unter anderem bieten auch die englische Firma „BigBelly“ und NEC ähnliche Systeme an. Das weiß auch Rochlitz: „Füllstandsensoren sind nichts Neues im Markt. Innovativ ist die 'Intelligenz im Netz'“ Das Herzstück des Systems: der Enevo-Server samt Routenplanungssoftware.

Die Ergebnisse des „Herzstücks“ werden grafisch ansprechend aufbereitet. Auf der Website des Unternehmens heißt das dann martialisch „War Room View“ (pdf.-Download). Der Monitor zeigt Füllstände sowie wo sich welche Fahrzeuge gerade befinden, daraus errechnet die Software dann die nächste Leerung sowie optimierte Routen. So kann laut Firmenangaben das Müllaufkommen der nächsten 30 Tage prognostiziert werden. Und je größer die Datenmenge, desto genauer die Vorhersagen: Big Data im Müllbusiness.

Wie beim Fischen

Der Sensor funktioniert ähnlich wie ein Gerät zum Auffinden von Fischschwärmen. Analog dazu macht der Sensor nicht am Rand der Tonne halt, sondern nimmt auch Bewegungen in der Umgebung war. Will man von einer Mülltonne beim Spazierengehen bemerkt werden? Das ist nicht das einzige Problem, das sich im Zusammenhang mit der Datenerhebung stellt. Enevo träumt von weiteren Geschäftsfeldern, bei denen es um die Erkennung von Trends im Müllmanagement, aber auch um den Weiterverkauf von Daten geht. Auch sind die in den Sensoren verbauten SIM-Karten – spätestens seit dem NSA-Skandal – nicht mehr sicher.

Joachim Wuttke, Fachgebietsleiter “Kommunale Abfallwirtschaft, Gefährliche Abfälle, Anlaufstelle Basler Übereinkommen“ vom Umweltbundesamt befürchtet in Zukunft ein gläsernes Verbraucherverhaltens durch Analyse der Art und Zusammensetzung des Abfalls. Abgesehen von der Technologie, fordert er an erster Stelle die Vermeidung von Müll ein.

Ronald Philipp vom „Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft“ (BDE) sagt, dass von den im BDE organisierten Unternehmen bei Privatkunden nur passive Transponder eingesetzt werden. 75 Prozent der Tonnen seien mit diesen Chips ausgestattet, die lediglich 50 Cent kosten und nur dann Informationen übermitteln, wenn die Tonne „fast direkten Kontakt“ zum Abholungsfahrzeug hat. Die passiven Transponder verbrauchen keine Energie und sind annähernd wartungsfrei. Übertragen werden lediglich folgende Informationen: „Ich bin eine Biotonne“, letzte Leerung/Leerungsintervall, Gewicht und eventuell der Besitzer.

Zukunftsmarkt Abfallmanagement

Phillipp sieht keinen „unmittelbare Notwendigkeit für die Einführung aktiver Transpondersysteme“. Auch er äußert Datenschutzbedenken beim Einsatz aktiver Sensoren. Für Kommunen ist das intelligente Abfallmanagement trotzdem ebenso interessant wie für Privatfirmen. Je nach Hersteller schwanken die Angaben zur Energie- und Kosteneinsparung zwischen 30 und 50 Prozent.

Und auch für Investoren wird Abfall eines der großen Zukunftsfelder sein: Analysten der Bank of America und von Merrill Lynch schätzen den Wert der Müllmanagementindustrie zurzeit auf rund eine Billion Dollar und sagen in den nächsten zehn Jahren eine Verdoppelung voraus.

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