Debatte um Rabattkarte: Ist die Bahncard ein Bürgerrecht?

Nächste Woche stellt die Bahn wohl ihre neuen Preispläne vor. Wenn sie die Bahncard antastet, geht stets ein Sturm der Entrüstung los. Zu Recht?

Zugfahren ist nicht gerade günstig. Deswegen wollen sich viele die Bahncard nur sehr ungern wegnehmen lassen. Bild: dpa

Ein Gefühl von Freiheit vermittelt eine Fahrt mit dem ICE. Ein Blick aus dem Fenster, der Zug rast in Hochgeschwindigkeit durch die deutschen Lande. Von der Bankenmetropole Frankfurt durch die hügelige Landschaft Hessens quer durch das flache, grüne Niedersachsen bis zur Hauptstadt der Bundesrepublik. Und das in vier Stunden. Eine entspannte Reise ohne dabei im Stau stehen zu müssen oder im vollbesetzten Fernbus mit bescheidener Beinfreiheit zu sitzen. Lesen im Bistro. Doch für viele Menschen ist diese Form von Freiheit eine Illusion.

Für eine einfache Fahrt zum Normalpreis von Berlin nach Hamburg in weniger als zwei Stunden werden 78 Euro fällig. Von Frankfurt am Main nach Berlin sind es gar 123 Euro. Viele können sich so eine Fahrt nur leisten, wenn sie eine Bahncard besitzen oder einen Supersparpreis ergattern.

Als im vergangenen Dezember Informationen des Hessischen Rundfunks zur Abschaffung der Bahncard durchsickerten, war die öffentliche Wut groß. Verkehrsminister Alexander Dobrindt hielt daraufhin fest, die Bahncard gehöre zur deutschen Mobilitätskultur. Immerhin fünf Millionen Menschen in Deutschland haben so eine Bahncard.

„Fahre ich noch weniger Bahn“

Was die Bahn an der Bahncard stört und warum ein Manager rausflog, der sie einmal abschaffte, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. März 2014. Außerdem: Wo man Drohnen präsentiert als wären sie Diamanten: Auf der größten Waffenmesse der Welt in Abu Dhabi. Ein Gespräch mit dem supergeilen Friedrich Liechtenstein. Und: Kohle oder Gas? Der Streit der Woche zum Auftakt der Grillsaison. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

In sozialen Netzwerken wie Twitter ließ sich die Wut besichtigen. Dort schrieb @Awuensch: „Ohne Bahncard fahre ich noch weniger Bahn, ist oft zu teuer im Vergleich zu Pkw mit Familie. „Das wars dann wohl mit der Glaubwürdigkeit der Bahn“, ärgerte sich @ThomasMielke. Von einem #Bahncardgate war die Rede. Unter dem Hashtag #Bahncard entludt sich einige Empörung. Und anschließend noch mehr Empörungsberichterstattung. Als wäre die Bahncard ein Bürgerrecht, das den Menschen gewaltsam genommen werden soll.

Die Bahn, die die Pläne der Abschaffung wenig später dementiert hat, hat schon einmal überlegt, die Bahncard abzuschaffen. In der Titelgeschichte „Rabatt oder Rabatz“ in der taz.am wochenende vom 14./15. März 2015 erzählen die taz-Reporter Richard Rother und Daniel Kastner von dem ersten gescheiterten Versuch der Abschaffung. Sie treffen nicht nur einen der Erfinder der Bahncard, sondern auch den Bahnmanager Hans-Gustav Koch, der die Rabattkarte 2002 mit abgeschafft hat – und darüber seinen Job verlor. Er hält die Abschaffung nach wie vor für die richtige Idee. „Das ist Preismanagement von vorgestern“, sagt der ehemalige Vorstand.

Begründet hat die Bahn ihr Vorgehen damals vor allem betriebswirtschaftlich. Die Auslastung der Züge sollte erhöht werden. Und auch jetzt will sie im Fernverkehr laut einem Bericht der Aufsichtsratssitzung des Bahnvorstands vom 10. Dezember die Kosten bis 2019 um 1,5 Milliarden Euro senken. Der Umsatzverlust wegen der Konkurrenz durch Fernbusse beläuft sich demnach auf 240 Millionen Euro im Jahr.

Wie in Frankreich

Wie 2002 will die Bahn sich offenbar stärker am Preissystem von Busunternehmen und Airlines orientieren und bessere Angebote für Gelegenheitsfahrer machen. Zusätzlich soll die Bahncard „weiterentwickelt“ werden. Was genau das bedeutet, wird wohl im Lauf der kommenden Woche klar, wenn die Bahn ihre neuen Pläne für den Fernverkehr vorstellt.

Die Fernbusse oder auch die französische Staatsbahn gehen nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip: Angebot und Nachfrage. Wenn man in Frankreich einen Sitz für eine Zugfahrt buchen möchte, dann ist er umso teurer, je mehr mitfahren möchten. Bei den Fernbussen läuft es ähnlich ab. FlixBus hat mehrere Preisstufen. Ist der Bus nahezu ausgelastet, sinken die Preise.

Die Freiheit für Bahncard-Besitzer wäre damit zwar eingeschränkt, aber nach diesem Prinzip wäre es vielleicht auch für Menschen mit niedrigeren Einkommen erschwinglicher, die Bahn zu nehmen. Bisher fahren sie laut einer Studie des Verkehrsclubs Deutschland mit Bussen am günstigsten.

„Der traurigste Tag, seit Bambis Mutter starb“

Manche sahen die vermeintlichen Abschaffungspläne in der Twitter-Community denn auch deutlich gelassener. @test_signal schrieb: „Der Tag an dem die Bahncard abgeschafft wurde ist der traurigste Tag, seit Bambis Mutter starb“. Auch @SusannaMoguntia nahm die Nachricht gelassen. Sie schrieb: „Wenn man Angst vor den Fernbussen hat, dann ist die Abschaffung der Bahncard natürlich genau die richtige Strategie“. So schnell ging es dann nun doch nicht.

Die taz.am wochenende hat ihre Leserinnen auf der Facebook-Kommune der taz dazu befragt, wie wichtig ihnen ihre Bahncard ist. Könnte man preiswerten Nahverkehr nicht sogar als Teil der Daseinsfürsorge betrachten. Schließlich ist Mobilität ein Grundrecht. Und dazu gehört nun mal, dass es für alle möglich ist. Es geht nicht nur darum, für einen Wochenendtrip nach München zu fahren um im Englischen Garten bei Sonnenschein die Füße in den Eisbach zu halten. Manchmal spielen auch familiäre Gründe eine Rolle, wie unsere Leserin Sophie Mühlenberg schrieb. „Der Großvater einer Freundin von mir ist vor kurzem verstorben und sie hätte nicht zur Beerdigung fahren können, da sie die Bahn-Preise beim bestem Willen nicht bezahlen konnte.“

Für Leserin Sarah Berndt müsste das Bahnfahren tatsächlich zur staatlichen Daseinsvorsorge gehören. „So wäre wenigstens gerechtfertigt, dass der deutsche Staat seit Jahrzehnten ein Unternehmen am Leben hält, dass in der freien Wirtschaft schon lange Insolvenz gemeldet hätte“. Anderen würde es schon reichen, wenn die Bundesregierung ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkäme. „In Artikel 87e des Grundgesetz steht, dass die Bundesregierung ein Gesetz zum Betrieb des Fernverkehrs erlassen muss. Das hat sie bis heute, also 21 Jahre nach Gründung der Deutschen Bahn AG, nicht geschafft“, beklagt Michael Dittrich.

Daseinsfürsorge wenig realistisch

Doch es gibt auch Leser, denen Bahnfahren als Daseinsfürsorge wenig realistisch erscheint. „Es wird sicherlich nie gelingen, jeden Fahrtwunsch leistbar zu machen. Das kann ich mir nicht vorstellen. Es sollte aber auch nicht zu einem Luxusgut werden“, schreibt Leserin Cornelia Kirst. Johann Fester meint: „Jemand, der einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, soll sich Bahnfahren auch leisten können. Bahnfahren als staatliche Daseinsfürsorge geht mir dagegen zu weit“.

Die Konkurrenz der Bahn ist gewachsen. Wegen des Fernbusangebots. Und ein Flug von Berlin nach Frankfurt ist teilweise günstiger als eine Fahrt mit dem ICE.

Und nachdem Bahnchef Hartmut Mehdorn die abgeschaffte Bahncard 50 2003 wieder eingeführt hatte, wurde sie deutlich teurer. „Allein im Zeitraum 2007 bis 2013 sank die Zahl der BC-50-Besitzer von 1,73 auf 1,45 Millionen“, schreibt Bahnkritiker Winfried Wolf in der Wochenzeitung Kontext. Für bessere Auslastung sorge die Bahn vor allem, indem sie Sitzplätze streiche.

Warum regen sich so viele so sehr auf, wenn die Bahncard angerührt werden soll?

Weniger Arbeiter, mehr Politiker, Lobbyisten, Wissenschaftler

Zu den Nutzern der Bahncard 50, würde der ehemalige Bahn-Manager Koch argumentieren, zählen eben weniger Arbeiter oder Verkäuferinnen an der Kasse von Aldi. Es sind Politiker, Lobbyisten und Wissenschaftler. „Letztlich ist es eine kleine, zahlungskräftige Tarifgruppe, die bevorzugt wird“ sagt Koch.

Ist die Bahncard 50 eine teure Subvention für Wochenendpendler und Menschen, die Fernbeziehungen führen? Denn für sie lohnt sich die Rabattkarte ganz besonders. Und sie genießen damit die volle Freiheit.

Was meinen Sie? Ist die Bahncard ein Bürgerrecht? Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Rabatt oder Rabatz“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. März 2015.

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