DER DRITTE TAG
: Weltfrieden

Die Stadt zeigt sich zur Berlinale nicht nur von ihrer hässlichen Seite, wussten Sie’s schon? Doch, dieser Tage entdecken sogar die notorisch mitleidbefreiten BVG-Kontrolleure ihren Stolz. Der greise Herr mit dem zerknautschten Einkaufstrolley, dem eine Berlinale-Akkreditierung um den Hals baumelt und der in der S-Bahn kurz vor Friedrichstraße erwischt wird, kann davon erzählen. Nach der Vorführung von Scorseses „Shutter Island“ stellt er sich als Mr Albert Milgrom aus Minnesota vor. Die Kontrolleure hätten nach einigem Hin und Her darauf verzichtet, ihm das Bußgeld aufzubrummen, und ihn stattdessen zum Ticketautomaten begleitet. Da kommt man doch ins Grübeln: Wäre es nicht am allerbesten, wenn der bayerische Limousinenservice allen akkreditierten Berlinale-Gästen zur Verfügung stünde? Beim Filmfest in Toronto werde das so gemacht, erzählt Mr Milgrom. Ansonsten ist er 87! Jahre alt, kommt seit 20 Jahren zur Berlinale, sein Facebook-Profil zeigt ihn, wie er sich bei einer Party keck eine venezianische Maske vor die Brille hält, und „Shutter Island“ fand er langweilig. Der Film funktioniere nicht, wenn man vorher schon überall gelesen habe, dass es eine Dr.-Caligari-Geschichte sei, meint er.

„Shutter Island“ hat noch ein ganz anderes Problem: Leonardo DiCaprio altert nicht gut. Pressekonferenzen gelingen ihm aber ausgezeichnet: Als habe er vorher genau geschaut, was die Sponsorwand im Hintergrund vorgibt (Blau und Grau), sitzt er zu Scorseses Linken in hellgrauem Jackett und hellblauem Hemd. Lektion Nummer eins aus dem Glamour-Handbuch für Herren: so viel wie möglich aus einer Farbpalette! Sicher wird DiCaprio heute Abend auch wieder wie schon im letzten Jahr mit Bob Geldof im Konzerthaus bei der „Cinema for Peace“-Benefizgala mitmachen, die – wie Dieter Kosslick nicht müde wird zu betonen – mit dem Berlinale-Programm nichts zu tun hat.

Dem Weltfrieden wird das ebenso wenig förderlich sein wie das Yogische Fliegen, über das sich David Sieveking in seinem gehypten, aber leider völlig dummen Film „David Wants to Fly“ (Panorama) mokiert. Mit kalkuliert argloser Mine heftet er sich hier an David Lynchs Versen, um Transzendentale Meditation als Abzockverein zu entlarven. Doch wusste man natürlich schon vorher: Pseudoaufgeklärte, Borsalino tragende Wohlstandshippiekinder aus Hessen sollten keine sogenannten Dokumentarfilme drehen, in denen sie sich als investigative Aufklärer inszenieren, ohne dabei von ihren hessischen Spießerwerten (die große Liebe finden etwa) zu lassen. Peace – und bis morgen!

JAN KEDVES