DAS ENTSCHEIDENDE DETAIL
: Potemkin’sche Würstchen

ATTRAPPEN Weil in Nordirland immer mehr Geschäfte leerstehen, werden die Schaufenster mit Scheinauslagen beklebt

Im nordirischen Dorf Belcoo steht eine perfekte Metzgerei. Die Auslagen sind üppig gefüllt: Mottadella, Salami, irische SCHWEINSWÜRSTCHEN. Die Tür steht einladend offen, und sauber ist es auch. Vielleicht möchte sogar Angela Merkel hier einkaufen, wenn sie Mitte des Monats zum G8-Gipfel kommt .

Das Problem ist, dass Merkel sich beim Versuch, diesen Laden zu betreten, gehörig die Nase stoßen würde. Denn die Leckereien sind Fassade. Der Eindruck, dass das Geschäft und die Region brummen, ist eine Illusion.

Die Nordiren haben wohl wegen der bald einfallenden Herrscher – sicher aber wegen ihrer Wirtschaftskrise – einfach den Potemkin gemacht: Für seine geliebte Zarin errichtete dieser 1787 – der modernen Sage nach – entlang ihrer Reiseroute auf der Krim mit Brettern und Farbe Fake-Dörfer. Sie sollte den verheerenden Zustand der Halbinsel nicht sehen.

Die nordirische Idee sollte in Europa Schule machen: In Madrid ließen sich herrlich Cafés kleben, in denen junge wohlhabende Menschen sitzen und arbeiten. Auf Lampedusa könnte Flüchtlingscamps beklebt werden: ausreisewillige Menschen, so weit das Auge reicht. Und auch der Berliner Willy-Brandt-Flughafen könnte auf diese Weise funktionieren. Kein Politiker müsste sich mehr das Elend anschauen, das er zu verantworten hat. Der Rest ist arbeitslos und kaut fiktive irische Schweinswürstchen. CHRISTIAN FLEIGE