Arzneireform schont die Pharmaindustrie

GESUNDHEIT Schwarz-Gelb drückt die Ausgaben für Arzneimittel, lässt den Firmen aber oft freie Hand

KASSEL taz | Einen ersten Sparerfolg bei den Arzneiausgaben kann die schwarz-gelbe Bundesregierung verbuchen. Allerdings fällt er ins Reich der Schätzungen: Wenige Stunden nachdem das Kabinett in der vorigen Woche seine Pharma-Eckpunkte beschlossen hatte, sank die Ausgaben-Prognose für die gesetzlichen Krankenversicherung.

Der offizielle Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt rechnet für 2010 mit Einsparungen von einer halben Milliarde Euro bei Medikamenten. Zum Vergleich: Allein von 2008 auf 2009 stiegen die Arzneiausgaben um 1,5 Milliarden Euro.

Die Schritte, von denen die Schätzer rasche Erfolge erwarten, betreffen die Medikamente mit den höchsten Kostenzuwächsen. Für sie soll bis Ende 2013 ein Preisstopp verhängt werden. Gleichzeitig sollen die Hersteller Rabatte von 16 statt 6 Prozent einräumen. Das Gesundheitsministerium hofft, dass dieser Teil des Pharma-Pakets zum 1. August in Kraft treten kann.

Doch längst hat die Pharmaindustrie ihre Lobby-Maschinerie aktiviert: „Dirigistische Eingriffe wie die Erhöhung der Zwangsabschläge und das Preismoratorium“ würden „viele Firmen“ in wirtschaftliche Probleme bringen, argumentierte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Auf Nachfrage räumte die Verbandsspitze zwar ein, dass etliche andere der Regierungsvorschläge der Branche entgegenkommen. Die sähe man aber gern schneller verwirklicht, sagte Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp.

Wichtig ist dem BPI die Lockerung der Regeln für Generika-Rabattverträge. Die Kassen sparen damit. Der BPI bezeichnete solche Sparinstrumente als „ruinös“ und sagte Produktionsverlagerungen nach China und Indien voraus. Der BPI solle die Behauptung belegen, forderte Udo Barske, Sprecher des AOK-Bundesverbandes. Er betonte, die Beschäftigung in der Pharmaindustrie habe in den letzten Jahren zugenommen. Das Statistische Bundesamt bestätigt das für die Jahre 2002 bis 2008.

Wichtig für die Industrie ist, dass die Regierung den Listenpreis für innovative Medikamente unangetastet lässt. Die Hersteller dürfen ihn weiter selbst bestimmen, sollen sich jedoch innerhalb von 12 Monaten mit den Kassen auf Rabatte einigen. Würde stattdessen der Ausgangspreis verhandelt, hätte das „unkalkulierbare Folgen“ für das Europageschäft, sagt der BPI. Frankreich, die Schweiz oder die Niederlande blicken bei Arznei-Verhandlungen nach Deutschland. Je höher der Preis hier liegt, desto mehr kann ein Hersteller dort verlangen. KATJA SCHMIDT