Noch nicht geächtet

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat Israel den Einsatz von Streubomben bei seinen Angriffen auf den Libanon vorgeworfen. Experten vor Ort hätten die Anwendung dieser umstrittenen Waffe bei einem Angriff auf die libanesische Ortschaft Blida am 19. Juli bestätigt, teilte die Organisation mit. Bei dem Einsatz der Streubomben seien ein Mensch getötet und zwölf weitere verletzt worden. Außerdem seien Streubomben im Arsenal der israelischen Artillerie an der libanesischen Grenze fotografiert worden.

„Streubomben sind inakzeptabel ungenaue und unzuverlässige Waffen“, wenn sie in Gegenden mit vielen Zivilisten eingesetzt würden, erklärte HRW-Chef Kenneth Roth. „Sie sollten niemals in Siedlungsgebieten eingesetzt werden.“ Roth forderte Israel auf, „sofort damit aufzuhören, Streubomben im Libanon zu verwenden“. Ein Sprecher der israelischen Streitkräfte dementierte den von Human Rights Watch beschriebenen Einsatz von Streumunition nicht und kündigte zugleich eine „genaue Prüfung“ des von HRW dokumentierten Falles an. Die Forderung, auf den Einsatz von Streumunition künftig zu verzichten, wies der Sprecher aber zurück – mit dem Argument, dass „die Verwendung von Streumunition nach internationalem Recht legal“ sei. Der Einsatz dieser Munition durch die israelischen Streitkräfte erfolge „in Übereinstimmung mit internationalen Standards“, betonte der Sprecher.

Das allerdings ist seit vielen Jahren sehr umstritten. Streubomben (englisch: cluster bombs) sind in einer Bombe verpackte Splitterbomben. Noch in der Luft verteilen sich die bis zu 1.000 kleinen Sprengsätze, weshalb die Waffe in einem sehr großen Radius ihre zerstörerische Wirkung entfaltet. Streugranaten hinterlassen häufig zahlreiche Blindgänger, die Jahre später, oft Jahre nach den Kämpfen, noch explodieren können. Davon sind überwiegend Zivilisten betroffen, unter ihnen ein hoher Anteil von Frauen und Kindern. Als erstes Land hat Belgien im Februar dieses Jahres den Einsatz von Streubomben verboten. Norwegen folgte vier Monate später mit einem Moratorium.

Viele Nichtregierungsorganisationen fordern seit langem ein völkerrechtliches Verbot nicht nur des Einsatzes, sondern auch der Entwicklung, der Produktion, des Handels und der Lagerung von Streubomben. Sie argumentieren, dass diese Munition wegen ihrer schrecklichen Folgen insbesondere für die Zivilbevölkerung in die Kategorie von Waffen fällt, deren Einsatz bereits in der Haager Landkriegsordnung Ende des 19. Jahrhunderts und dann in den Genfer Konventionen verboten wurde: als Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht. Da diese internationalen Verträge sich konkret immer nur auf die zum Zeitpunkt ihres Abschlusses existenten Waffen beziehen konnten, müssten sie durch Zusatzprotokolle ergänzt und aktualisiert werden. Darin würden dann auch neuere Waffenentwicklungen (wie etwa Streubomben) verboten. Doch bisher reichte der politische Wille der Regierungen nur zu einem internationalen Abkommen, das im Mai in Kraft trat. Demnach müssen kriegführende Staaten nach Ende der Kämpfe alle gefährlichen Munitionsrückstände beseitigen – darunter auch nicht explodierte Streubomben.

Das Protokoll über die explosiven Rückstände von Kriegen soll vor allem Zivilisten in Konflikten besser schützen. Der Vertrag geht auf eine Initiative des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zurück. Bis Mai dieses Jahres hatten 91 UN-Staaten das Protokoll angenommen.