Marine-Denkmal
Vorwärts in die Vergangenheit

Die Ausstellung in Laboe wurde überarbeitet. Für fünf Historiker ist sie noch immer zu wenig wissenschaftlich und kritisch
EHRENMAL LABOE Die zentrale Ausstellung des Marine-Denkmals Laboe ist zaghaft überarbeitet worden. Mehr will sich die Marine nicht zumuten

VON FRANK KEIL

Dr. Jann M. Witt trägt wie alle hier einen blauen Pullover mit dem Abzeichen des Marinebundes. Gut gelaunt kommt er mir von dem hoch aufragenden Turm her entgegen. Witt ist Marinehistoriker, er war an der Neugestaltung der Ausstellung in der so genannten Historischen Halle des Ehrenmals Laboe beteiligt. Die alte Ausstellung wurde immer wieder kritisiert, weil sie die Marine unkritisch darstelle, besonders während der NS-Zeit. Nun aber soll alles anders geworden sein.

Wirklich? Fünf Historiker aus Kiel und Hamburg haben in einer öffentlichen Erklärung gegen die Ausstellung protestiert: Sie sei unwissenschaftlich und unkritisch. In der örtlichen Presse war von einem „Historikerstreit“ die Rede.

Das Land Schleswig-Holstein hat nicht gekleckert, 600.000 Euro flossen in die Neugestaltung der Erinnerungsstätte an der Kieler Förde, die dem Marinebund gehört. Und das, wo die Landesregierung derzeit mit Macht alles weggespart. Eröffnet wurde die neue Ausstellung am 17. Juni. Kaum jemand außerhalb der Marineszene hat etwas davon mitbekommen.

Kritisieren sei selbstverständlich in Ordnung, aber gesehen haben sollte man die Ausstellung – Witt geht voran, quer über den großen Aufmarschplatz. Er sagt: „Dies ist ein Ort des Gedenkens. Es ist für uns auch ein Ort der Tradition.“ Und das man eine „einladende Atmosphäre“ schaffen wolle.

Entsprechend hell und luftig ist es im Inneren. Wir schauen auf die Tafeln, beugen uns über Vitrinen. Ich komme mir vor wie ein Schüler, der herausfinden muss, wer recht hat: Witt oder seine Kritiker. Geändert hat sich schon etwas, das sieht man schnell. Bei meinem letzten Ausstellungsbesuch brach der zweite Weltkrieg plötzlich aus. Jetzt wird ein kleines Foto ausgestellt, das den Beschuss der Westerplatte bei Danzig durch die „Schleswig Holstein“ am 1. 9. 1939 zeigt. Es wird darauf hingewiesen, dass Marinesoldaten die Wachmannschaften für das Todeslager Ladelund an der dänischen Grenze stellten. Mit einem Satz nur, aber ist das nicht schon ein Fortschritt? Auch Zwangsarbeiter werden erwähnt. Und die Marinejustiz. Hans Filbinger nicht, nein, keine Namen. Auch kein Hinweis, welche Karrieren Marinerichter später absolvierten.

Für mich als Zivilisten ist das entschieden zu wenig. Für Herrn Witt als Militär ist es vermutlich ungeheuer viel. „Ganz unter uns: Es gab hier früher Texttafeln, auf denen die Unzuverlässigkeit unserer italienischen Verbündeten während des Krieges beklagt wurde“, sagt er. Seine Stimme ist plötzlich leise – wie immer, wenn die Marineleute etwas ansprechen, das für sie heikel ist.

Und dann folgen in der Ausstellung doch noch die verdrucksten Beschreibungen, die das Verhalten der Marine unter den Nazis rechtfertigen: „Die meisten Marineangehörigen kämpften im guten Glauben, ihre Heimat zu verteidigen, ohne zu wissen, das sie von einem verbrecherischen Regime missbraucht werden.“ Wie wäre es damit, Täter und Opfer erst einmal klar zu benennen, nach Biografien, Lebensläufen und gesellschaftlichen Milieus zu fragen? Täter – das Wort gefällt Witt nicht. Es sei ihm zu plakativ. Er verzieht sein Gesicht: „Ich nenne sie die ,Verantwortlichen‘“, sagt er. „Ist ein einfacher Marinesoldat, der auf Befehl hin geschossen hat, ein Täter?“ Biografien aber würden folgen: Etwa über den einzigen Marineoffizier, der sich Stauffenberg anschloss. Bald.

Endgültig seltsam wird es, als es in die heutige Zeit geht. Schiffe stampfen im Sonnenlicht durch die See, gut gelaunte Marinesoldaten warten ihre Waffen – Bilder und Begleittexte wie direkt aus der PR-Abteilung der Bundesmarine übernommen. Ausdrücklich fühlt sich der Marinebund als Hausherr den „legitimen nationalen Interessen unseres Landes“ verantwortlich, so steht es in seiner Präambel. Dass es auch über die Auslandseinsätze auf See eine kontroverse öffentliche Debatte gab, dass sowohl die Partei Die Linke, aber auch ein CSU-Mann wie Peter Gauweiler gegen diese militärischen Aktivitäten der Marine klagten, darüber verliert die Ausstellung kein Wort.

Kann er sich vorstellen, dass hier einmal eine Gedenktafel für die hingerichteten Matrosen Alfred Gail, Martin Schilling und Fritz Wehrmann zu finden ist? Witt nickt. Eine Informationstafel, das wäre gut möglich. Er kennt die Hintergründe zu den drei jungen Männern, die am 10. Mai 1945, zwei Tage nach Kriegsende, als Deserteure in der Geltinger Bucht erschossen wurden – sie wollten einfach nur nach Hause. Wieder verzieht sich sein Gesicht: Mit den Deserteuren sei das so eine Sache. „Ich habe größte Hochachtung vor den Soldaten, die angesichts der Verbrechen der Nazis entschieden, nicht mehr zu kämpfen und die dafür die Konsequenzen trugen“, sagt er mit fester Stimme: „Aber wenn einer einfach aus dem Schützengraben kletterte und seine Kameraden im Stich ließ?“ Er wiegt den Kopf hin und her. Und wenn es aus purer Verzweiflung geschah? Er sieht mich verblüfft an: Verzweiflung? Das scheint für ihn keine Kategorie zu sein.

„Ein Kollege hat mir gesagt, mit dieser neuen Ausstellung haben wir uns für 50 Jahre in die Zukunft katapultiert“, sagt Jann M. Witt zum Abschied, der Turm des Ehrenmals erhebt sich hinter uns in den wolkenzerzausten Himmel. „Man kann auch sagen, das Ehrenmal ist da angekommen, wo die Debatte vor 50 Jahren stand“, antworte ich.