Homerun auf die grüne Wiese

TAZ-SERIE TEMPELHOFER FELD Mehr Flächen für Vereinssport oder das Feld den Freizeitkickern? Die Entscheidung über eine Bebauung ist auch eine darüber, wie auf dem Areal zukünftig Sport getrieben werden soll. Auftakt unserer Serie zum Volksentscheid am 25. Mai

■ Am 25. Mai stimmen die BerlinerInnen darüber ab, ob das Tempelhofer Feld bebaut werden soll. Der Senat will an drei Rändern des ehemaligen Flugfelds rund 4.700 Wohnungen, außerdem Gewerbegebäude errichten. Die Initiative 100 % Tempelhofer Feld will die Bebauung des rund 380 Hektar großen Areals dagegen komplett verhindern. Erstmals liegen den Bürgern damit zwei Vorschläge zur Abstimmung vor.

■ Damit die Initiative mit ihrem Entwurf erfolgreich ist, müsste beim Volksentscheid die Mehrheit der TeilnehmerInnen, zugleich mindestens ein Viertel aller Berliner Wahlberechtigten, für den Gesetzentwurf stimmen. Am 25. Mai sind auch Europawahlen. (taz)

VON JENS UTHOFF

„Auf einer grünen Wiese / zwei Tore aufgestellt / und zwischen diesen Toren / der schönste Platz der Welt“ – diese Zeilen, die Union-Fans auf ihr Stadion, die Alte Försterei, gemünzt haben, passen eigentlich auch gut zum jetzigen Treiben auf dem Tempelhofer Feld. Ein paar Freizeitkicker treten dort auf selbst errichteten Plätzen gegen den Ball, Rugbyspieler suchen sich ein Fleckchen Grün, um sich auf die Pille zu stürzen. Wenige Meter weiter versucht sich einer an einem Homerun.

Das Tempelhofer Feld war aber auch mal ein Platz des organisierten Sports, Ende des 19. Jahrhunderts gab es hier gar die Anfänge des Fußballs in Berlin: Der erste Deutsche Meister nach der Gründung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) aus Berlin, Union 92, kickte hier. Geht es nach den Berliner Sportverbänden, etwa dem Landessportbund (LSB) und dem Berliner Fußball-Verband (BFV), wird das Feld auch bald wieder ein Platz für den Vereinssport sein – sie wollen dort dringend benötigte Sportanlagen errichten.

Platz für wilden Sport

Der Volksentscheid über die Bebauung des Tempelhofer Felds am 25. Mai wird so auch über die Zukunft des Sports in der Stadt bestimmen. Setzt sich die Gruppe 100 % Tempelhofer Feld mit ihrem Entwurf durch, wird das Feld zu Großteilen wohl ein Ort des wilden Sports bleiben. Der Senat hingegen sieht den Bau von Sportanlagen in zwei Arealen vor. Sollte dieser Entwurf pro Bebauung durchkommen, ist allerdings Stress mit dem LSB und dem Senat für Sport vorprogrammiert: Beide fordern deutlich mehr Flächen für Sportstätten als vom Senat vorgesehen.

Dort plant man derzeit mit acht Großspielfeldern, also Flächen in der Größe von Hockey- oder Fußballplätzen. Vier will man im Bereich der Alten Gärtnerei im Südosten bauen, zwei im Columbiaquartier und zwei weitere im alten Regenrückhaltebecken an der Züllichauer Straße. Da ein neues auf dem Feld geplant ist, würde dieser Platz frei.

Der LSB und der Senat für Inneres und Sport hingegen fordern in dem Ende 2012 vorgelegten „Entwicklungskonzept Sport für die Tempelhofer Freiheit“ zusätzlich zu den acht neuen Sportplätzen den Bau von zwei neuen Mehrzweckhallen (Gesamtkosten: mehr als 10 Millionen Euro). Der Senat für Stadtentwicklung sieht hingegen nur eine weitere grundsanierte Sporthalle an der Schule am Berlinickeplatz in Alt-Tempelhof vor – und damit keine einzige Halle direkt auf dem Feld.

Genutzt werden sollen die neu entstehenden Sportstätten von Schulen, Vereinen und Hochschulgruppen – in der Regel sieht die Landessportverordnung bei allen Sportanlagen eine Mischnutzung vor. Und bisher hat noch kein Berliner Klub signalisiert, auf dem Feld eine eigene Anlage errichten zu wollen.

Warum aber überhaupt die fehlenden Sportstätten auf dem Tempelhofer Feld errichten? „Für den Senat ist es natürlich eine bequeme Lösung“, sagt Julius Dahms, Sprecher der Initiative 100 % Tempelhofer Feld. In Berlin gebe es insgesamt eine erschlossene Baufläche, die zehnmal so groß sei wie das Tempelhofer Feld, erklärt er. Da dürfe sich doch in den betroffenen Bezirken auch Fläche finden.

„In ganz Berlin mag es so viel Freifläche geben, aber es geht uns ja nicht um das Bauen in Außenbezirken“, sagt Petra Rohland, stellvertretende Pressesprecherin des Senatsressorts Stadtentwicklung. „Wenn man irgendwo anders baut, bedeutet das auch immer Verdichtung in einem bereits dicht besiedelten Bezirk und damit infrastrukturelle Probleme.“ Rohland sagt, in dieser Größenordnung könne man in den drei angrenzenden Bezirken niemals so viele Sportflächen schaffen, ließe man das Feld frei.

„Das Feld ist ja gerade in seiner jetzigen Form für den Sport da“, entgegnet Dahms, „es bietet etwa jede Menge Platz für unkonventionelle Sportarten.“ Dabei denkt er an die derzeit installierte Minigolfanlage oder an die Kitelandboarder, also die Sportler, die mit ihren großen Boards und den Lenkmatten durch die Luft fliegen. „Es ist eben Platz für alles, was sich die Bürger ausdenken und einfallen lassen.“

Und die Vereinssportler? Für die unteren Fußballligen gäbe es vielleicht auch bei freiem Feld Platz zum Kicken: „Ein Fußballplatz mit provisorischen Tribünen wären sicher denkbar“, sagt Dahms, „Umkleidekabinen in Containern oder verschiebbare Trainerhäuschen ebenso.“ Außerdem gebe es ohnehin einige versiegelte, also von Platten bedeckte Flächen; dort könne man zumindest kleine Sportplätze errichten.

In allen drei angrenzenden Bezirken gibt es eine Unterversorgung mit Sportstätten

Der Senat für Sport und der LSB sähen dagegen eine Chance verpasst, ließe man das Feld unbebaut. Dabei wolle man nicht nur an die etablierten Sportarten denken: „Uns geht es um die Sicherung von Sportflächen – nicht nur für den organisierten Sport, sondern für den Sport in Berlin insgesamt“, sagt Peter Hahn, Leiter des Bereichs Sportinfrastruktur beim LSB. Hahn spricht auch von Bahnen für Inlineskater, die er gerne sähe. Der Senat für Sport stellt sich Servicebereiche für Jogger und Radfahrer vor – etwa Duschen, Umkleiden, Schließfächer.

Senatsentwurf unklar

Welche Sportanlagen es genau geben wird und wer sie nutzt, bliebe bei einem Erfolg des Senatsentwurfs am 25. Mai also vorerst offen. Es liefe wohl auf eine Kompromisslösung zwischen dem Sportsenat und dem Senat für Stadtentwicklung hinaus. Ob die Anlagen aber am Ende den angrenzenden Bezirken gehörten oder vom Senat verwaltet würden, ist unklar.

Sicher ist: In allen drei angrenzenden Bezirken (Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg) gibt es eine Unterversorgung mit Sportstätten, gemessen am durchschnittlichen Verhältnis von Einwohnern zu Sportstätten in Berlin. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg liegt laut Senat bei der Versorgung mit Sportanlagen im Freien sogar mehr als 47 Prozent unter dem Schnitt. Überließe man die Finanzierung der Sportflächen den Bezirken, so Hahn vom LSB, könne man wegen klammer Kassen mit schneller Fertigstellung nicht rechnen.

Ärger könnte es noch um die bereits bestehenden Sportflächen geben: zwei Tennisplätze und ein Baseballfeld, das die Turngemeinde in Berlin (TIB) nutzt. Eines der Baseballfelder soll der Erweiterung des Islamischen Friedhofs am Columbiadamm weichen, so die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Damit wäre weder der Klub noch der LSB einverstanden.Von Ausweichflächen auf der anderen Seite des Columbiadamms ist die Rede. Friedhof oder Homerun: auch das ist so eine Frage, die mit dem Volksentscheid aufkommt.