Bugs Bunny gegen Burka

Die Realitäten der Welt verändern sich. Das US-amerikanische „Wow“-Schauspielensemble ist multinational zusammengesetzt und glaubt an die kommende Herrschaft der Comicfiguren

VON PETER ORTMANN

Auf die Ausrottung der Indianer folgt das knapp verfehlte 1.000-jährige Reich – und in der Zukunft droht die Herrschaft der Comicfiguren. Nein, kein Paralleluniversum. Donnie Darko muss nicht wieder ran. Wir sind auf der Erde, anno 2006. Die US-amerikanische Wow Company aus NY City (8th Avenue) will den so genannten Kampf der Kulturen vom Off-Broadway (6th Avenue) ins alte Europa transferieren. Wow! Das Schauspielensemble um den Regisseur Josh Fox unternimmt seit Jahren immer wieder expressive Versuche, die aktuellen politischen Umwälzungen theatralisch umzusetzen. Nach Arbeiten in New York, Indonesien und anderen asiatischen Staaten ist die multinational zusammengesetzte Truppe nun am Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT) mit „Death of Nations, Part V: Heimwehen“ zum ersten Mal in Europa zu sehen.

Die Off-Bühne der Landeshauptstadt lässt gerade in der Reihe „New Realities“ die Wirklichkeit zurückschlagen. Neben den US-Amerikanern zeigen während der zehn Tage auch matthaei & konsorten Geschichten vom „echten“ Leben. Die Portraits aus der Menge sind theatral aufbereitetes dokumentarisches Material, das Regisseur Jörg Lukas Matthaei in der Stadt Düsseldorf gesammelt hat. Seine ruhige Inszenierung unterscheidet sich eklatant von Josh Fox‘ Power Theater, das stark an Theatertraditionen der 1970er Jahre im alten Europa erinnert. „Wow macht kein Agitprop-Theater“, sagt zwar Benjamin R. Barber. Der ist Gershon und Carol Kekst Professor of Civil Society an der Universität von Maryland und Leiter der Democracy Collaborative mit Büros in New York, Washington und der Universität von Maryland. Er ist Berater von Politikern in den USA und Europa (des ehemaligen Präsidenten Clinton und des früheren Bundespräsidenten der BRD, Roman Herzog, sowie der UNESCO und der schwedischen und französischen Regierungen). Und er schreibt Theaterstücke. Wow! Als Unterstützer der Company war er extra zwei Tage vor Ort.

Und hat recht. Fürs Agitprop fehlten natürlich die roten Fahnen. Obwohl doch viel geballert wurde. US-Amerikaner schießen eben gern und manchmal übers Ziel hinaus. Die wunderbar spielfreudige Truppe, die durch deutsche Schauspielerinnen (Irene Christ und Angelika Sautter) ergänzt wurde, feuerte erst die amerikanischen Ureinwohner und die Südstaaten-Sklaven, dann die deutschen Nazis und am Schluss die bösen Islamisten von der Bühne.

In der vermeintlichen Zukunft stecken alle in Disney-Kostümen, versuchen verzweifelt die Einbürgerung nach Deutschland, vergewaltigen ein paar Burka-Trägerinnen. Globalisierung ist scheiße, sie vernichtet die Kultur, danke „Desperado“ Fox. Ein wildes Reality-Musical mit wunderbaren Schauspielern. Schrill, sehenswert und pappig zugleich. Wie die allseits geliebten US-amerikanischen Mc-Doof-Hamburger. „It‘s too arty“, wie man in New York sagt. „Wir reagieren alle gewalttätig auf Liebe“. Das hätte als Statement gereicht. Das ist die neue Realität und sie hat noch kein Happy-End. „Die Funktion der Kunst, eine Alternative zum Leben zu sein, ist verschwunden“, sagt Boris Groys, Kunstwissenschaftler an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe im Interview zum „New Realities“-Symposium. Soll heißen, niemand sucht auf der Bühne mehr Utopien oder nach etwas, was das Leben übertrifft oder wenigstens nach einer Alternative. Das sei frustrierend. Die Lösung sei, dass man ein Stück Leben ästhetisiert, ins Theater oder Museum setzt und als Kunst wieder akzeptiert.

Da sind wir dann bei Matthaei und seinen sozialen Mikrostrukturen in den Kammerspielen. „Vom richtigen Leben“ sind Geschichten von Menschen, deren Gesichter einem tagtäglich in der Fußgängerzone begegnen. Antje, Marc und die anderen sind zwar als Videoprojektion auf der Bühne präsent, ihre Erzählungen übernehmen Schauspieler. Damit wird nicht nur der populistische Reality-TV-Effekt verdrängt, die gesellschaftliche HartzIV-Struktur der gesichtslosen Masse Mensch wird exemplarisch sichtbar und die ist beileibe nicht witzig. Alle Protagonisten kämpfen ums persönliche Glück – mit unterschiedlichen Strategien und ohne jeglichen Verweis auf neue globale Markt-Strukturen. Das Diktat der täglichen Verrichtung ist wichtiger als der Kampf gegen Globalisierung, Ozonlöcher, George Bush, selbst gegen Osama Bin Laden. Insofern waren die alten AgitProp-Theater schon einmal weiter.

New RealitiesFFT DüsseldorfBis 16. September 2006Infos: 0211-8767870