Nichts kann Afrikas Migranten aufhalten

Europas Überwachung der afrikanischen Atlantikküsten treibt Flüchtlingsboote zurück zu den alten Mittelmeerrouten

MADRID taz ■ Erneut hat für zwanzig afrikanische Migranten der Traum von Europa mit dem Tod geendet. Wie am Donnerstagnachmittag bekannt wurde, rettete die Besatzung eines Handelsschiffes in der Nacht zuvor elf Flüchtlinge, die versucht hatten, von der Westsahara auf die Kanarischen Inseln überzusetzen. Ihr Schlauchboot war entzwei gegangen. Zwanzig weitere Flüchtlinge sind nach Angaben der Überlebenden ertrunken.

Der tragische Zwischenfall zeigt, dass die alten Migrationsrouten trotz verstärkter Kontrollen immer wieder benutzt werden. So versuchen in den letzten Wochen viele Flüchtlinge ihr Glück an der Meerenge von Gibraltar, dem kürzesten Seeweg zwischen Marokko und Spanien. Dieser Weg war schon vor Jahren die Hauptroute von Afrika nach Spanien gewesen. Der Ausbau der elektronischen Überwachung hatte ihn in Vergessenheit geraten lassen: Die Kanaren waren fortan das Ziel. Doch jetzt werden die Atlantikküsten Marokkos, Mauretaniens und Senegals von Patrouillenbooten überwacht, und so versuchen es die Schlepper wieder auf den alten, viel kürzeren Routen. Alleine an die Küsten von Almería, der östlichsten Provinz Südspaniens, gelangten seit Anfang September über 1.100 Flüchtlinge aus Afrika in kleinen Holzbooten mit Außenbordmotoren. In ganz Andalusien sind es dreimal so viele gewesen. Mittlerweile kommen selbst algerische Fischerboote in Spanien an. Das letzte gelangte Anfang der Woche auf die Baleareninsel Menorca.

Unter den Flüchtlingen befinden sich zunehmend Minderjährige. Rund ein Drittel derer, die über das Mittelmeer kommen, sind jünger als 18 Jahre. Da das spanische Gesetz die Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen verbietet, solange deren Eltern nicht ausfindig gemacht werden können, sind die Heime in Südspanien und auf den Kanaren überfüllt. In Andalusien wurden Jugendherbergen zu Notunterkünften umfunktioniert.

Die Fantasie der Migranten kennt keine Grenzen. So schafften es vergangene Woche fünf Flüchtlinge, den Zaun rund um die spanische Exklave Melilla in Nordafrika zu überwinden. Davon konnte sie auch das neu installierte Labyrinth aus Drahtseilen nicht abhalten, das eigens zwischen dem ersten und dem zweiten Zaun errichtet wurde, nachdem es vor einem Jahr immer wieder zu Massenanstürmen gekommen war. Sie hangelten sich an einem Seil von einem Zaun zum anderen und tricksten damit die moderne Installation aus. REINER WANDLER