Geld macht sexy

Was passiert, wenn der Bund der Hauptstadt viele Milliarden Euro überweisen muss? Ein Blick ins Büro des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit – im Jahr 2013

Klaus Wowereit zupfte sich versonnen ein weißes Haar von dem Armani-Jackett, das, wenn er saß, an der Hüfte ein wenig zwickte. Regieren machte ihm Spaß. Immer noch. Die letzte Rate der 60-Milliarden-Euro-Hilfe, die der Bund seiner Hauptstadt genehmigt hatte, würde übermorgen kommen. Der Finanzsenator hatte in der Senatssitzung mit einem Powerpointvortrag erklärt, wie sie damit die letzte Stufe zur integrativen, dreisprachigen Gemeinschaftsschule abschließen würden. Es klang gut. Nach schlauen Kindern, nach zufriedenen Wählern, nach Zukunft.

Wowereit strich sich lächelnd über den Bauch. Am Ende seiner dritten Amtszeit lag er in allen Beliebtheitsumfragen weit vorn. Die große Koalition, die er 2010 nach den üblichen Scheinverhandlungen mit den Grünen geschmiedet hatte, funktionierte. Nur Eberhard Diepgen machte Probleme. Seine Partei hatte den 72-jährigen CDU-Granden auf Knien um Hilfe gebeten, als sie in den Umfragen hinter der FDP lag. Aber in letzter Zeit verplapperte sich der Wirtschaftssenator immer öfter. Die BVG zurückkaufen, so ein Unsinn. Jeder zweite Berliner fuhr mit seinem eigenen, äh, Brennstoffzellendings durch die Gegend. BVG war nicht Zukunft, dachte Wowereit. BVG war Gestern. Die Beschäftigten der Creative Industries quetschten sich nicht in U-Bahnen. Aber egal. Er mochte den alten Diepgen.

Cidre aus Neukölln

In Gedanken ging der Regierende Bürgermeister den Tag durch. Er freute sich auf die Institutseröffnung im Wissenschaftsstandort Neukölln um 14 Uhr. Im Gebäude der ehemaligen Kindl-Brauerei hatte Adlershof vor Jahren einen Ableger gegründet, jetzt tummelten sich dort junge Harvard-Absolventen und kopftuchtragende Managerinnen, die neben Chinesisch und Hindi auch Türkisch sprachen. Zudem produzierte ein Forscherteam in einem der alten Kupferkessel einen hervorragenden Cidre aus biologisch angebauten Äpfeln, ein Renner in der KaDeWe-Feinschmeckerabteilung. Ohne es zu merken, schmatzte Wowereit leise vor sich hin. Er blätterte in dem Terminkalender, in den Ledereinband war sein Wahlslogan „Geld macht sexy“ geprägt.

Es klopfte an die Tür des Bürgermeisterzimmers. Richtig, die Kita-Erzieher. „Modellprojekt ‚Männliche Rollenvorbilder für Kinder von morgen‘. Läuft gut, nicht mehr Geld versprechen!“, hatte ihm die Senatorin für Bildung und Zukunft notiert. Wowereit bot den drei Pädagogen das Ledersofa an, er selbst nahm den – für Nichteingeweihte unsichtbar – erhöhten Sessel. Die Senatssprecherin blieb stehen.

Der lange Dünne, den Namen würde ihm gleich die Sprecherin zuflüstern, fing an. „Herr Regierender, wir sind froh, Ihnen unsere Probleme schildern zu dürfen. Die Gruppenfrequenzen von 10 Kindern haben sich bei einem Migrantenanteil von 15 Prozent zwar bewährt, aber …“ Wowereit schaute interessiert, lehnte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Oberschenkel. Interessiert schauen, darin machte ihm so schnell keiner was vor.

Als Erstes also die geharnischte SMS an Diepgen. Dann Neukölln. Und auf dem Rückweg kurz in Marzahn-Hellersdorf vorbei, die Humboldt-Uni ehrt in dem Universitätsviertel die besten Master-Absolventen. Wie jedes Jahr. Der lange Dünne hob die Stimme: „… deshalb sind zwei Stellen je Kita für Sprachtherapeuten ein Weg, um …“ Wowereit zog die Stirn in Falten und nickte. Auf dem Ökomarkt in Alt-Marzahn kann der Fahrer noch ein Bund Rauke holen. Jörn wird sich freuen. „… haben wir ein Konzept erarbeitet, das, mit Ihrer Unterstützung, sicherlich …“

Gratisstudium für alle

Seit die Wohnungsbaugesellschaften die Platten in Studentenwohnheime umgewandelt haben, lässt es sich in dem Bezirk toll einkaufen. Irgendwo müssen die Studenten das Geld, das sie durchs Kostenlos-Studium sparen, ja ausgeben. Das bundesweit einzigartige Kostenlos-Studium, nicht zu vergessen. Dank meiner Politik. Wowereit lächelte. Er merkte, dass ihn die Erzieher hoffnungsvoll anstarrten. „Wir werden einen Weg finden, meine Herren“, sagte er und stemmte sich aus dem Sessel. Sollte die Bildungssenatorin meckern. Mit Betroffenen reden, darin machte ihm so schnell keiner was vor. ULRICH SCHULTE