Das Schweigen der Opposition

Die Opposition verpasst ihre große Stunde. Sie könnte mit innovativen Vorschlägen für eine Zukunft Berlins ohne Entschuldungshilfen glänzen. Doch CDU, Grüne und FDP sind noch ratloser als der Senat

VON MATTHIAS LOHRE

Die drei Oppositionsparteien haben derzeit Entscheidendes gemein mit SPD und Linkspartei: Beiden Seiten fehlen Antworten auf Berlins dramatische Lage nach dem Verfassungsgerichtsurteil der vergangenen Woche. Eigentlich schlüge nach dem Aus für die ersehnten Entschuldungshilfen die Stunde der Opposition. An CDU, Grünen und FDP läge es, unkonventionelle Konzepte vorzustellen – über die altbekannten Kürzungs- und Steuererhöhungsdebatten hinaus. Doch herrscht in ihren Fraktionsreihen Schweigen vor der morgigen Abgeordnetenhausdebatte zur Lage Berlins. Teils schlicht aus Ratlosigkeit, teils aus politischem Kalkül.

Derzeit wärmen SPD und Linkspartei überwiegend bekannte Sparpläne wieder auf und preisen sie als neue Lösungen. Beispielsweise die Weiterführung des so genannten Solidarpakts im öffentlichen Dienst über das bisherige Ende 2009 hinaus. Die Erhöhung von Grund- und Grunderwerbssteuer soll 220 Millionen Euro bringen und beitragen, die gewaltige Neuverschuldung von fast 2,5 Milliarden Euro mittelfristig abzubauen. Doch neu ist das nicht. Und die Opposition bietet keine innovativen Vorschläge.

Stattdessen ergehen sie sich wie die Grünen in bloßen Forderungen nach einem „stimmigen Sanierungsprogramm und einer Überarbeitung der Finanzplanung“. Mit ihrem Ruf nach Kürzungen im öffentlichen Dienst auf 100.000 Vollzeitstellen wiederholen sie nur, was der Senat ohnehin bis 2012 erreichen will. Im Umgang mit den sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen beklagen die Grünen, dass Rot-Rot „eine Idee“ fehle. Das stimmt zwar. Doch trauen sich die Grünen nicht mehr, den noch vor einem Jahr propagierten Verkauf von rund 100.000 Wohnungen einzufordern. Sie scheuen den Vorwurf der sozialen Kälte. Auch Taktik spielt eine Rolle: Manche Grüne haben seit dem Karlsruher Urteil neue Hoffnungen geschöpft, doch noch eine zerrissene Linkspartei als SPD-Partner zu beerben.

Eigene Konzepte fehlen auch der CDU. Sie verzichtet ganz auf Vorschläge, wie Berlin langfristig den Schuldenberg von derzeit 61 Milliarden Euro abtragen kann. Stattdessen sagt sie nur, wo nicht gespart werden dürfe: bei der Polizei. Der Grund für die Sprachlosigkeit der Union liegt unter anderem an deren Neuausrichtung nach ihrer desaströsen Schlappe bei der Abgeordnetenhauswahl. Der neue Fraktionsvorsitzende Friedbert Pflüger muss seine Rolle erst finden, Experten wie der Exfinanzsenator Peter Kurth haben das Parlament verlassen, entnervt von jahrelangen parteiinternen Intrigen. Die CDU wirkt nicht gerade wie die größte Oppositionspartei.

Bleibt die FDP, die sich gern als kompetente Alternative zur sozialdemokratisch dominierten Konkurrenz im Parlament verkauft. An diesem Selbstbild hängt die Partei auch jetzt: „Berlin braucht eine durchgreifende Staatsaufgabenkritik und Verwaltungsreform, den Abbau von Überausstattungen, insbesondere im öffentlichen Dienst, und den schnellen Verkauf der Landesbeteiligungen“, ruft ihr haushaltspolitischer Fraktionssprecher Christoph Meyer. Die Forderungen sind radikal – und gehen völlig an der Lebenswelt Berlins vorbei.

Ein Verkauf der rund 60 Unternehmen, die teilweise oder vollständig in Landeshand sind und fast 60.000 Menschen beschäftigen, ist nicht umsetzbar. Vom langfristigen Nutzen eines einmaligen Verkaufs des gesamten Tafelsilbers ist allein die FDP überzeugt. Besorgnis erregend ist deshalb weniger, was die kleinste Parlamentstruppe fordert. Sondern dass es die einzigen eigenständigen Forderungen von Oppositionsseite sind.