RALPH BOLLMANN MACHT
: Himmelfahrt ins Nichts

Am Mittwoch beantragt die Hamburger CDU in der Bürgerschaft ihre eigene Abwahl. Parteichefin Merkel hatte den Mann, der Schwarz-Grün ins Stolpern brachte, schon vorsorglich verabschiedet

Angela Merkel hatte ihm das Abschiedsgeschenk schon ausgeteilt, zwei Wochen bevor ihn dann wirklich der grüne Koalitionspartner sitzen ließ. Ein Buch aus dem Jahr 1975 war es, das sie dem Hamburger Bürgermeister Christoph Ahlhaus auf dem CDU-Bundesparteitag Mitte November in Karlsruhe überreichte. „Ein Planet wird geplündert“, lautete der Titel, mit dem der CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl seine Partei wachrütteln wollte, Umweltzerstörung und Überbevölkerung anprangerte. Drei Jahre später verließ er die Union und beteiligte sich an der Gründung der Grünen.

Dass Ahlhaus sich in Karlsruhe stellvertretend für seinen Vorgänger Ole von Beust in den politischen Ruhestand entlassen ließ, kam mir damals schon komisch vor. Aber es spricht für Ole von Beust, dass er sich der demütigenden Prozedur in Karlsruhe nicht aussetzte. Sein Zug sei stecken geblieben, ließ er ausrichten. Niemand überprüfte, ob er in Hamburg tatsächlich eingestiegen war. Merkel blieb skeptisch. Sie fragte Ahlhaus, ob die Sache mit dem Zug denn stimme. Der Bürgermeister bejahte lustlos. Als ob er auch noch lügen müsste für den Vorgänger, dessen Schatten ihm das Leben sowieso schon schwer genug machte.

Merkels Unwille, falsche Emotionen vorzutäuschen, ist mir prinzipiell nicht unsympathisch. Trotzdem taten mir Althaus, Koch und Rüttgers auf dem Parteitag fast leid. Sie machten wie Ahlhaus den Fehler, sich die Geschenke selber abzuholen. Althaus bekam die „Wege aus einer kranken Gesellschaft“ des Sozialpsychologen Erich Fromm. Es handelt sich um ein Plädoyer fürs Grundeinkommen. Trotzdem erschien mir dieses Geschenk wenig feinfühlig für jemanden, der mit der Verarbeitung seines Skiunfalls offenkundig ein ernstes Problem hatte.

Koch erhielt Edmund Burkes „Betrachtungen über die Französische Revolution“, die Geburtsschrift des Konservatismus. Der Hesse beruft sich darauf in seinem eigenen Abschiedsbuch, das Merkel in Berlin selbst vorstellte. Hatte sie es gar nicht gelesen? Oder unterstellte sie Koch, dass er aus zweiter Hand zitierte? Nur das Geschenk für Rüttgers war einigermaßen unverfänglich: „Die Arbeiterfrage und das Christentum“ des Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler, eines Mitbegründers der Zentrumspartei.

Von den Dankesworten der drei Herren blieb mir nichts in Erinnerung. Sie nahmen ihre Bücher entgegen, und schon war Merkel sie los. Nur bei Ahlhaus, dem letzten Anti-Grünen bei den Schwarzen, musste der Koalitionspartner den Job übernehmen. Vielleicht wäre für ihn das zweite Buch passender gewesen, das der grüne Schwarze Gruhl kurz vor seinem Tod schrieb. „Himmelfahrt ins Nichts“, lautete der Titel.

Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: Urbach