Nur der Kunde strampelt sich ab

taz-Serie „Solidarische Ökonomie“ (Teil 2): Die Firma Ostrad in Prenzlauer Berg setzt auf Qualität bei Beratung und Service. Und auf ein solidarisches Miteinander zwischen Chefs und Belegschaft

von RICHARD ROTHER

Die Winsstraße in Prenzlauer Berg ist eine kleines Nebenstraßenbiotop. Sie beherbergt nicht nur eine ehemalige Kaufhalle, die jetzt Supermarkt heißt, ein Geschäft für gebrauchte Kinderkleidung, eine Industriebäckerfiliale und Kneipen, sondern auch einen sonnengelb angestrichenen Laden, der sich um die Fortbewegung der Kiezbewohner kümmert: Ostrad. Laufkundschaft verirrt sich hierher selten, zu weit sind U- oder S-Bahn-Station entfernt – dennoch herrscht an diesem Morgen geschäftiges Treiben in dem nach Gummi riechenden großen Geschäft. Eine Kundin möchte einen Schlauch gewechselt haben, zwei Mitarbeiter schrauben in der Werkstatt an Fahrrädern herum.

„Uns geht es gut“, sagt Geschäftsführer Eckbert Schauer. Zwar habe die Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr für einen leichten Umsatzrückgang gesorgt, weil einen Monat lang zur besten Fahrradsaison die Kundschaft eher vor dem Fernseher hockte, als sich ein Zweirad zu kaufen. Dennoch sei der Umsatz stabil – auf hohem Niveau.

Dass sich ein mittelgroßer Fahrradladen, der mit dem „Ostrad“ sogar eigene Markenräder kreiert und produziert, in einem Kiez ohne Laufkundschaft halten kann, dafür hat Schauer eine einfache Erklärung: „Die Leute können kaputte Räder ja nicht weit schieben.“ Zudem profitiert Ostrad auch von den Menschen aus der alternativen Mittelschicht, die seit Mitte der 90er-Jahre nach Prenzlauer Berg gezogen sind. „Die sind sehr anspruchsvoll, aber sie sind auch bereit, für Qualität einen angemessenen Preis zu zahlen.“

Qualität ist ohnehin das Zauberwort der Ostrad-Leute – damit wollen sie sich abheben von billigen Massenprodukten, die nach ein paar Regenschauern zu rosten beginnen. „Ein guter Fahrradladen guckt, was der Kunde will und braucht – ein schlechter schaut nur nach dem eigenen Umsatz“, sagt Werkstattleiter Dan Ehle. Wichtigstes Qualitätsmerkmal bei Beratung und Service sei ausreichendes und qualifiziertes Personal, so Ehle, der den Ostrad-Azubi betreut. „Unseren letzten Lehrling konnten wir übernehmen.“

Elf Beschäftigte hat Ostrad derzeit. Würde es nur darum gehen, den Profit der Chefs zu mehren, könnte man auch mit gut der Hälfte auskommen, rechnet Eckbert Schauer vor – bei entsprechender Ausbeutung der Mitarbeiter. Das will Schauer nicht, insofern lebt er ein Stück solidarische Ökonomie. „Wir wollen so viele Arbeitsplätze wie möglich schaffen, von denen man leben kann.“

So halte man, entgegen dem Branchentrend, die Belegschaft das ganze Jahr – auch in den umsatzschwachen Wintermonaten. Dann gibt es zwar 14 Prozent weniger Lohn, entlassen wird aber niemand. Immerhin verdienten die Mitarbeiter rund ein Drittel mehr als in vergleichbaren Geschäften, so Schauer, sogar zwei Wochen Urlaub zur umsatzstarken Sommerzeit sei für jeden drin, den Rest nehmen die Kollegen im Winter. Auch Teilzeitarbeit sei möglich, wenn die Mitarbeiter dies aus familiären Gründen wünschten.

Das Credo, humane Arbeitsbedingungen zu schaffen, stammt bei Ostrad noch aus den Gründungsjahren, in denen auch die ostdeutsche Tradition des kollektiven Miteinanders im Alltag gepflegt wurde. Entstanden ist der Betrieb aus einem ABM-Projekt, das Anfang der 90er-Jahre Fahrräder in Prenzlauer Berg verlieh. Als das Projekt auslief, wurde Ostrad gegründet, zunächst mit einer gemeinschaftlichen Struktur. Diese habe sich aber als unproduktiv erwiesen, so Schauer. Würden Kredite aufgenommen, stelle sich sofort das Problem der Haftung. „Der Geschäftsführer haftet, das kann ihm keiner abnehmen.“

Dennoch würden wichtige Themen – etwa neue Trends und Konzepte – im Kollektiv diskutiert, so Schauer. Alle zwei Monate treffe sich die Belegschaft, um solche und Fragen der Alltagsorganisation zu beraten. Ein umstrittenes Thema, das immer wieder auftaucht: die Öffnungszeiten. Zurzeit hat der Laden von 9 bis 19 Uhr geöffnet, samstags von 10 bis 15 Uhr. Im Sommer wird es abends regelmäßig eng. Allerdings wollen die Beschäftigten auch Feierabend haben – deshalb soll es keine spätere Schließzeit geben. Ein Kunde, der kurz nach 19 Uhr kommt, wird aber auch nicht weggeschickt.

Solidarische Ökonomie heiße für ihn, dass alle miteinander arbeiteten und sich einbringen können, sagt Schauer. Und: „Für ordentliche Arbeit muss es einen ordentlichen Lohn geben.“ Werkstattleiter Ehle erweitert diesen Gedanken des solidarischen Wirtschaftens noch. Der Kunde dürfe beste Qualität erwarten, müsse aber dafür auch einen angemessenen Preis zahlen. Davon haben schließlich alle etwas.