Rettung vor Gericht

Aus Rom Michael Braun

Bis zu zwölf Jahre Haft drohen dem früheren Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel in dem gestern eröffneten Prozess im sizilianischen Agrigent. Er bildet das juristische Nachspiel zu dem Flüchtlingsdrama vom Sommer 2004.

Bierdel wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, er habe gemeinsam mit dem Kapitän der „Cap Anamur“, Stefan Schmidt, und dem Ersten Offizier, Wladimir Daschkewitsch, Beihilfe zur illegalen Einwanderung in einem besonders schweren Fall geleistet. Das jetzt verhandelte Kapitalverbrechen nahm am 20. Juni 2004 seinen Beginn, als die im Mittelmeer zwischen Sizilien und Malta kreuzende „Cap Anamur“ auf ein Schlauchboot mit 37 Afrikanern stieß; der Kapitän beschloss, die Flüchtlinge an Bord zu nehmen und in einen italienischen Hafen zu bringen.

Dort aber waren die Bootsflüchtlinge unerwünscht, ein Einlaufen des Schiffs in einen italienischen Hafen wurde nicht gestattet. Daraus entwickelte sich eine dreiwöchige Kraftprobe zwischen der deutschen Hilfsorganisation und dem italienischen Staat. Roms damaliger Innenminister, Giuseppe Pisanu, vertrat den Standpunkt, die Flüchtlinge seien in maltesischen Hoheitsgewässern aufgegriffen worden und hätten deshalb in Malta an Land zu gehen. Die Cap-Anamur-Spitze dagegen – Elias Bierdel war mittlerweile zur Besatzung gestoßen – erklärte damals wie heute, die Rettungsaktion habe in internationalen Gewässern stattgefunden.

Nachdem das Schiff über Wochen am Einlaufen in den sizilianischen Hafen Porto Empedocle gehindert wurde, hatte Bierdel mit dem Durchbrechen der Blockade gedroht, da die Situation unter den demoralisierten Flüchtlingen außer Kontrolle geraten könne. Daraufhin gestatteten die italienischen Behörden schließlich, dass die „Cap Anamur“ am Kai anlegte.

Was zunächst wie die positive Lösung des Flüchtlingsdramas aussah, erwies sich jedoch nur als Auftakt zum nächsten Akt der Konfrontation. Bierdel, der Kapitän und der Erste Offizier wurden in Haft genommen, die „Cap Anamur“ beschlagnahmt; und die 37 Afrikaner wurden in ein Abschiebelager überstellt.

Schließlich galt es, so der damalige Innenminister Pisanu, einen „gefährlichen Präzedenzfall“ zu verhindern. Dafür schuf der italienische Staat selbst einen Präzedenzfall – und warf den Rettern „Beihilfe zu illegalen Einwanderung“ vor. Exemplarischen Charakter sollte offenbar auch der Umgang mit den Flüchtlingen haben. Sie hatten angegeben, aus dem Sudan zu stammen. Binnen wenigen Stunden wollten die italienischen Behörden jedoch herausgefunden haben, dass sie samt und sonders aus Ghana kamen. Ohne den Flüchtlingen die Gelegenheit zu geben, sich durch Anwälte vertreten zu lassen, ohne ihnen auch Gelegenheit zur Stellung eines Asylantrags einzuräumen, wurden sie – mit der Ausnahme eines „Kronzeugen“, der die Herkunft aus Ghana beglaubigen sollte – sofort nach Ghana ausgeflogen. Einer der Zurückgeschickten, Mohammed Yussif, ertrank im April 2006 bei einem erneuten Versuch, mit einem Boot nach Europa zu gelangen.

Elias Bierdel sah sich aber heftigen Anfeindungen nicht nur der italienischen Regierung ausgesetzt. Auch deutsche Medien nahmen ihn aufs Korn, mit der Anklage, die ganze Flüchtlingsrettungsaktion sei eine inszenierte Show gewesen. Die Anklage verfehlte ihre Wirkung nicht: Bierdel wurde als Vorsitzender der Hilfsorganisation Cap Anamur abgelöst, nachdem auch der Gründer der Organisation, Rupert Neudeck, sich gegen ihn gestellt hatte.

Der Prozess wird am 11. Dezember mit ersten Zeugenvernehmungen fortgesetzt.