Glücksversprechen Krieg

„Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez“ erzählt die Geschichte von einem Mann aus Guatemala, der als erstes Opfer der US Army im zweiten Irakkrieg gefeiert wurde

Mit Aussicht auf eine Ausbildung und Geld lassen sich vor allem Schwarze und Angehörige des sogenannten White Trash für den Dienst in der US Army ködern. Aber auch für Menschen aus Lateinamerika ist die Armee attraktiv, denn als Soldat wird ihnen die Aussicht auf eine Staatsbürgerschaft geboten. Armut prädestiniert zum Kanonenfutter. Diese zynische Wahrheit transformiert der Dokumentarfilm „Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez“ in eine persönliche Geschichte.

Mit ihrer Koautorin Erika Harzer und dem Kameramann Rainer Hoffmann folgt die Berliner Regisseurin Heidi Speconga den Spuren, die das nur knapp 29-jährige Leben des José Antonio Gutierrez hinterließ, und zeichnet so den ernüchternden Weg eines Straßen- und Waisenkinds nach.

Gutierrez wurde 1974 während des Bürgerkriegs in Guatemala geboren, verlor früh seine Eltern und überlebte als bettelndes Straßenkind. Mitte der 90er-Jahre wanderte er illegal in die USA aus, indem er sich jünger machte. Er kam in eine Pflegefamilie. Später verpflichtete er sich als Green Card Soldier. Gleich zu Beginn des zweiten Irakkriegs 2003 wird Gutierrez als erster Soldat auf amerikanischer Seite durch Friendly Fire getötet.

Nicht die Kritik am Irakkrieg steht im Fokus des Films, sondern das Schicksal eines Menschen, der aufgrund ökonomischer Zwänge sein Leben riskiert in einem völlig fremden Land und in einem Krieg, den er nicht verstehen kann. Dem Film liegt viel daran, die Beziehungslosigkeit zwischen Alltagsleben und der Existenz als Mitglied des US Marine Corps auszuleuchten: Vom Dorf nach Guatemala-Stadt, über Waisenhäuser, Sozialstationen und die Pflegefamilie bis ins Feldlager. In Interviews, Dokumenten und Fotos verdichtet sich allmählich ein Bild.

Das Leben Gutierrez sieht zunächst aus wie die Glückssuche eines Menschen, der ein Talent zum Überleben besitzt: Immer wieder hat er das notwendige Glück, landet in Waisenheimen, die sich um seine Schulbildung kümmern, ist erfolgreich bei der Suche nach seiner Schwester. Trotz Bettelei, Drogensucht und Kriminalität bleibt Gutierrez nicht auf der Strecke – ja, die Filmemacher spüren sogar seinen Wunsch auf, Architekt zu werden. Dann folgen sie dem langen Migrationsweg durch Mexiko, fahren mit mittellosen Auswanderern auf den Dächern und den Kupplungen der Güterzüge. Ist diese Reise ohne Überfall und Unfall überstanden, steht am Ende die Überwindung der gesicherten Grenze zu den USA.

Der Tod von Gutierrez wurde von der Armee und den Medien propagandistisch genutzt: Er wurde zum Helden stilisiert, gefallen für die USA. Posthum erhielt er die Staatsbürgerschaft, dank deren seine Schwester und ihre Familie heute in den USA leben. Gutierrez ist ein Green-Card-Soldat, von denen heute 32.000 in Afghanistan oder Irak im Namen der USA kämpfen.

Die Autorinnen machen die Recherche, das Fahnden und Finden zum Hauptthema ihres Films. Dabei präsentieren sie durchaus widersprüchliche Versionen von Leben und Tod des José Antonio Gutierrez. Am Ende gelingt es dem Film, zwei andere Geschichte zu erzählen als die propagandistische vom heldenhaften Tod für die Sache der USA. Zum einen macht er das Drama eines Menschen sichtbar, der einfach nur ein würdevolles Leben für sich beanspruchte. Zum anderen erzählt er von einem Menschen zwischen den Kriegen, in einem Krieg geboren, in einem anderen gestorben. Für beide Kriege waren die USA in erheblichem Maß verantwortlich: In Guatemala verdeckt mittels „Sicherheitsberatern“, Geldkanälen und der CIA, im Irak offen durch militärische Intervention. In beiden Fällen wurden Bürgerkriege ausgelöst. In Guatemala dauerte er über 30 Jahre lang.

MATTHIAS REICHELT

„Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez“. Regie: Heidi Specogna. D 2006, 90 Min., läuft im fsk