Über den Sinn und Zweck ästhetischer Kleinstunterscheidungen
: Vom Hipster lernen, auch wenn er nervt

VON ARAM LINTZEL

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Du willst doch nur Distinktionsgewinne einfahren!“ Diesen nach wie vor beliebten Vorwurf muss sich anhören, wer mit Lesefrüchten oder abseitiger Musikrezeption renommiert. Unter Zynismusverdacht steht der feine Unterscheider sogar, wenn es ums Ganze geht und Politik mit großem fettem P geschrieben wird.

In seinem gerade erschienenen Buch „Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter“ prangert der Literaturwissenschaftler Thomas Hecken in einem Abschnitt über die einstmals so genannte „Pop-Linke“ nachträglich und überhaupt deren „Distinktionsgebaren“ an. Der Autor kritisiert unter anderem die Geste, „zwischen verwandten Angeboten per Geschmacksurteil tiefste Unterschiede zu behaupten“ und damit ernsthaft „politische Ansprüche zu verfolgen und zu etablieren“. Heckens Buch ist vor allem eine zur meinungsstarken Abrechnung hochgetunte große Nacherzählung, und doch animiert es dazu, noch einmal über Sinn und Zweck ästhetischer Kleinstunterscheidungen nachzudenken.

Gelegenheit dazu gibt ein neues Buch, das vom Obervirtuosen der Distinktion handelt: vom Hipster nämlich. Der kleine Band „What was the Hipster? A Sociological Investigation“ dokumentiert eine Konferenz, die 2009 an der New School for Social Research in New York stattfand. Eine konkrete, aber zugleich allgemeine Figur, der männliche New Yorker Hipster der nuller Jahre, wird hier begutachtet, um etwas über die Tragfähigkeit popkultureller Verfeinerungstaktiken, Posen und Mikro-Codes herauszufinden. Nebenbei geht es um den Hipster als Gentrifizierungsvorhut, weiße und schwarze Hipster und das „Hipster Feminine“.

Rebellischer Konsument und Nostalgiker

Interessant ist dabei die wiederholte Feststellung, dass ja eigentlich niemand Hipster genannt werden will. Von einer regelrechten „Hipster Fatigue“ ist die Rede, und der Blogger und Journalist Rob Horning verkündet gar „The Death of the Hipster“. Allerdings bleibt die Rolle dieser oft genug ridikulösen Erscheinung doppeldeutig. Er ist nicht nur obsolet, sondern auch mega-zeitgemäß: einerseits als „rebellischer“ Konsumist ein dominanter Prototyp des Neoliberalismus, andererseits ein Nostalgiker mit der Tendenz zur Regression.

In ihrem Buchbeitrag erkennt die Pulitzerpreisträgerin Margo Jefferson in den Aneignungstechniken und Vintage-Ästhetiken des Hipsters eine Sehnsucht nach der Erwachsenenwelt, die man als Kind kannte. Neuere Musikstile wie Chillwave, in denen Elternmusiken wie Yachtrock oder der Konsensrock der Achtziger angeeignet werden, unterstützen den Befund.

Obwohl der Proto-Hipster – in Berlin-Mitte etwa notorisch als staksiger Wanderer mit skinny Jeans und/oder ironischer Gesichtsbehaarung – nicht selten nervt, kann es schon traurig stimmen, wie er da im „What was the Hipster?“-Buch aus der Weltgeschichte geboxt werden soll. Warum nicht mal über seine Potenziale nachdenken, über das, was an ihm 2011 noch gut und berechtigt sein könnte?

Durchaus brauchbar wäre zum Beispiel das Immer-schon-Bescheid-Wissen des Hipsters. Mark Greif, Mitherausgeber des Doku-Bandes, spricht von einem hipster-typischen „Apriorismus“. Im selbstgewissen Erfahrungsverzicht ließe sich eine Haltung erkennen, die einen Kontrapunkt zur zeitgenössischen Erlebnisökonomie mit ihrem Terror des Authentischen setzt. „Ich muss nichts erlebt haben, um alles zu kennen“, sagt der Hipster „meine Fülle und Pracht ist vor aller Erfahrung!“

Und auch bei all jenen, denen noch die Rhetorik aus der „Der kommende Aufstand“ unangenehm im Kopf nachhallt, könnten Hipster-Techniken Sympathien wecken. Während das Unsichtbare Komitee einfach auf Versteckspiele und die Unterbrechung des Kommunikationsflusses setzt, ist die klassische Hipstergeste eine dialektische: geheimes Wissen wird gezeigt und zugleich verhüllt. Diese Kommunikationsverweigerung – Mark Greif zeigt es anhand des schwarzen Hipsters der vierziger Jahre – ist beredt, wenn nicht geschwätzig. Viel zur Schau stellen, sich obsessiv in Distinktionsdetails verheddern und dennoch nicht in die liberale Transparenz- und Sichtbarkeitsfalle laufen: das könnte eine weitaus schönere Strategie sein als das dröge Schweigen im Walde.

■ Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Grünen-Bundestagsfraktion und freier Publizist in Berlin