Raumschiffe? Brauchen wir nicht. Wir haben doch schließlich ein wunderbares

■ Lunares Beiboot

Obwohl es als vorerst nahezu aussichtsloses Unterfangen erscheint, würde manch einer viel darum geben, dieses Fest noch miterleben zu dürfen: den Tag, an dem uns unser Erdtrabant voll besetzt verläßt und zu einer langen Reise aufbricht. Gegen dieses globale Freudenfest würde Silvester 1999 im nachhinein als harmloser Kindergeburtstag belächelt werden.

Die Erde sei nur die Wiege der Menschheit, war vor kurzem in Volker Panzers illustrem ZDF-“Nachtstudio“-Gesprächskreis zum Thema „Der Griff zu den Sternen – und wohin jetzt?“ zu erfahren. Auf lange Sicht müssen wir unseren Heimatplaneten verlassen, da in zweieinhalb Milliarden Jahren die Sonne und mit ihr alles Leben auf der Erde erlöschen wird. Das sind Perspektiven, die unkonventionelle Lösungen erfordern.

Deshalb ist schon von „Generationen-Raumschiffen“ die Rede, mit mindestens 100.000 Mann Besatzung, um für die 10.000 Jahre dauernde Reise zu anderen Sonnensystemen über einen ausreichenden Genpool zu verfügen. Wir könnten natürlich auch einfach Klone in den Weltraum schikken, doch damit entginge uns ein großes Abenteuer.

Lieber möchten wir im vollen Bewußtsein aller Risiken ferne Zivilisationen und intelligente Lebensformen entdecken. Schließlich gibt es da diese tiefe Sehnsucht, Kontakt zu Außerirdischen herzustellen, damit in fernen Sternzeiten Sätze à la „Raumschiff Voyager“ gesprochen werden können: „Puccini? Ein humanoider Komponist aus dem 19. Jahrhundert.“ Der Treibstoffverbrauch, um diese riesigen Generationen-Raumschiffe von der Erde ins All zu befördern, wäre allerdings immens.

Warum sollten wir solchen Aufwand betreiben, wo uns die Schöpfung doch ein wunderbares Vehikel an die Hand gegeben hat, das sich bereits außerhalb der Atmosphäre befindet? Es ist ein lunares Beiboot der planetarischen Arche, ein steinerner Ballon, am Band der terrestrischen Anziehungskraft tänzelnd, der darauf wartet, daß die Menschheit seine Fesseln löst.

Die Rede ist natürlich vom Mond, der schwach leuchtend um uns herumgondelt und nur einmal im Monat zum Haarschneiden oder Nachtgolfspielen taugt. Sobald die Technologie vorhanden ist, muß damit begonnen werden, gigantische Fusionsreaktoren auf dem schmutzigweißen Pustelball zu errichten. Sein Durchmesser mißt knapp ein Viertel der Erde und ist damit groß genug für eine millionenköpfige Crew, die im untertunnelten Mondgestein über komfortable Quartiere und städtische Infrastruktur verfügen wird.

Und dann kommt endlich der ersehnte Moment, in dem die Reaktoren anlaufen und die drei Antriebsaggregate in der Mitte der sonnenbestrahlten Mondvorderseite mit Energie versorgen. In hellen Blitzen glühen die Triebwerke auf. Leicht zeitverzögert, noch träge gegen die Anziehungskraft kämpfend, bricht der Mond aus der bekannten Umlaufbahn und beschleunigt dann anmutig in Richtung Andromedanebel. Die auf der Erde zurückgebliebenen Menschen starren gebannt auf die kleiner werdende gelbe Scheibe und jubeln den stellaren Ballonfahrern zu.

Ja, so wird es sein: Der Mond muß getuned werden. Christian Kortmann