Die Stille der Slawenburg

TAZ-SERIE STADTFLUCHT Was hinterließen die Slawen in Biesenthal, nördlich von Berlin? Auf der Suche nach einer verschwundenen kleinen Festung

■ Wer kennt das nicht: die Stadt zu laut, zu groß, zu voll. Selbst die Sommerferien sorgen längst nicht mehr für Entschleunigung, die urlaubenden BerlinerInnen werden durch Schwärme von Touristen ersetzt. Wie gut, dass wir in Berlin leben: umgeben von idealen Ausflugszielen für Kurztrips, die näher liegen, als man oft glaubt.

■ In loser Reihenfolge fahren unsere AutorInnen ins Umland und schreiben darüber. Ihr Ziel können sie frei wählen, einzige Voraussetzung: Es muss für maximal 10 Euro erreichbar sein.

■ Die Reihe begann mit einer Tramfahrt nach Rüdersdorf (taz.berlin vom 3. August).

VON ELISABETH BAUER

Leuchtende Sonnenblumenfelder, Wälder, weite Landschaften ziehen langsam vor dem Fenster vorbei – keine graue Hauswand stört den Blick in die Weite. Eine knappe Stunde Fahrzeit ist es aus der Mitte Kreuzbergs bis ins Grüne. Die Bahn kommt ruckelnd zum Stehen, und als die Türen sich öffnen, liegt die hitzige, aufgeladene Großstadt zurück.

Biesenthal. Nur ein paar Radfahrer und ein Pärchen steigen aus an dem kleinen, verlassenen Bahnhof. Das Surren der Grillen und die wabernde Mittagshitze empfangen die Ankömmlinge. Kein Tourismuszentrum, keinen Kiosk, keine Kneipe gibt es hier. Aber überraschenderweise ein Repaircafé. Im ersten Raum des Bahnhofsgebäudes stehen rostige Räder und Werkzeugkisten neben einem großen gelben Kachelofen. Zwei Männer werkeln an einem Rad. Ob hier jemand die Slawenburg kenne? „Ja, die war auf dem Reiherberg, ich war auch schon da“, sagt eine junge Mutter, die gerade eine Nähmaschine repariert hat. Dort, im Norden, sei die Stadt ursprünglich entstanden.

„Da musst du aber noch die ganze Bahnhofstraße runter“, sagt Feargal Parks. Der Ire hat das Repaircafé ins Leben gerufen – seit März lädt er jeden zweiten und vierten Samstag im Monat zum gemeinsamen Reparieren in den Kulturbahnhof Biesenthal ein. Neben dem Fahrradreifen und der Nähmaschine werden an diesem Tag auch ein Kaffeezubereiter und ein Laptop vorbeigebracht. Bevor Elektrogeräte auf dem Müll landen, sollte man sich fragen, ob sich die Reparatur nicht doch noch lohnt, findet Feargal.

Reich an Seen und Flüssen

Auf einem Rad, das Feargal mir spontan bereitstellt, mache ich mich auf den Weg zum Burgwall von Biesenthal. Die Kleinstadt liegt im Naturpark Barnim. Dieser, reich an Seen, Flussläufen und Dörfern, zieht sich von der Berliner Stadtgrenze bei Pankow bis nach Liebenwalde und nordöstlich bis zur Universitätsstadt Eberswalde. Noch ein weiteres Merkmal zeichnet den Barnim-Landstrich aus: Während hier zur Zeit der Völkerwanderung germanische Stämme siedelten, waren die wasserreichen Niederungen im 6. und 7. Jahrhundert erstmals von slawischen Einwanderern heimgesucht worden – die Orts- und Flussnamen zeugen heute noch davon.

In Biesenthal soll eines der ältesten slawischen Siedlungszentren sein. Ich mache mich auf die Suche. Nach einer Viertelstunde erreiche ich die Altstadt. Niedrige Häuschen reihen sich dicht an dicht, Pflastersteine bilden die Straße. Eine alte Dame geht gemächlich an Kübeln farbenreicher Blumen vorbei. Rechts führt der Wehrmühlenweg von der Hauptstraße ab, ein Abschnitt des beliebten Berlin-Usedom-Radwegs. Vorbei am Schlossberg mit dem askanischen Kaiser-Friedrich-Turm, erreicht der Weg nach einem Waldstück die Wehrmühle am Finow. Was jedoch nicht viele wissen: In direkter Nachbarschaft zum Schlossberg, dem Wahrzeichen des Naturparks, liegt der unauffällige Reiherberg. Er ist umgeben von vereinzelten Wochenendgärten, wildem Wald- und Sumpfgebiet.

Was aussieht wie eine verwilderte Böschung, ist in Wahrheit ein Zeuge der slawischen Besiedlung. Der Pfad, der um den nur vier Meter hohen Hügel herumführt, ist längst von langen Gräsern und starken Gierschpflanzen erobert, Brennnesseln und Bärenklau säumen den leichten Anstieg zur Hügelspitze. Eine Mirabelle, mehrere Apfelbäume und dann ein großer Weißdorn. Totale Stille – bis auf das Säuseln der Insekten und Zwitschern der Vögel. Das gleißende Licht der Mittagssonne taucht die Wiese in goldgelbe Töne.

„Bis vor ein paar Jahren haben Schafe die Pflanzen im Zaum gehalten. Jetzt passiert hier nichts mehr“, erzählt mir später ein älterer Herr. „Der Berg steht ja auch unter Denkmalschutz.“ Auf dem Reiherberg stand also eine der slawischen Fliehburgen – kreisrund, aus Holz, Lehm und Stein –, umgeben von einem breiten Wassergraben. Die Burgwälle, die slawische, aber auch germanische Stämme bis ins späte Mittelalter hinein bauten, maßen etwa hundert Meter im Durchmesser und dienten den Bewohnern der Wohnhaussiedlungen als Zufluchtsort. Flechtwerke aus Holz, durch Erde zusammengehalten: Kein Wunder, dass keine der Burgen bis heute überdauert hat.

Möchte man eine originalgetreue Nachbildung einer solchen Fliehburg sehen, sollte man die Slawenburg Raddusch im Spreewald besuchen. Sie wurde touristentauglich errichtet: Museum, Restaurant und Veranstaltungsraum befinden sich in ihrem Burghof. Was das Ausflugsziel Raddusch jedoch nicht zu bieten hat: die Stille an einem so geschichtsträchtigen Ort kann man am Reiherberg noch ganz für sich genießen.

■ Kulturbahnhof Biesenthal: www.bahnhof-biesenthal.de/. Die einfache Fahrt von Berlin nach Biesenthal kostet 4,10 Euro