„Zielloses Herumschweifen“

Vortrag über die Situationisten und die offene Stadt

■ 56, lebt als Herausgeber, Kurator und Kunstkritiker in Hamburg und findet, dass Städte niemanden gehören.Foto: privat

taz: Herr Ohrt, jeder der Spuren hinterlässt, trägt zur Arbeit der Polizei bei, das haben die Internationalen Situationisten geschrieben. Sollten wir die Pariser Gruppe besser vergessen?

Roberto Ohrt: Gerade nicht. Auch wenn sie die Kunst mit diesen „Spuren“, die man nicht mehr verwischen kann, meinten, und keine greifbaren Werke hinterlassen wollten, also eine andere Praxis suchten.

Wie sollte das gehen?

Zuerst glaubte die Gruppe an eine Radikalisierung der Kunst, etwa in der Richtung, wie sie dann von den Wiener Aktionisten sehr viel beschränkter umgesetzt wurde. Allerdings war ihr Hauptziel, die herrschenden Verhältnisse umzustürzen. Das schien mit Künstlern nicht zu gehen.

Welche Lehre zogen sie daraus?

Dass die Kunst überwunden werden muss. Die Künstler wurden ausgeschlossen. Aber auch die Praxis der Situationisten: das Umherschweifen in der Stadt, die Konstruktion von flüchtigen Situationen, die Idee des Lebens als Spiel, das alles wurde unkonkreter und unsichtbarer.

Heute ist die Stadt ein Umschlagsplatz für Waren und Lebensstile.

Genau davor hat es den Situationisten immer gegraut. Vor der Verelendung der Großstädte. Als Debord als junger Mann in den 1950ern in Paris herumzog, war das eine Stadt, wie es sie heute nirgends mehr gibt: Man zahlte kaum Miete, wurde in der U-Bahn nicht kontrolliert. Es gab eine Ökonomie, die Randexistenzen auch im Zentrum zuließ.

Daran knüpfen heute die städtischen Bewegungen wieder an.

Ja, aber oft wird dabei zu territorial gedacht, nach dem Motto: Das ist unser Viertel, das ist unser Haus. Eine Stadt gehört niemanden. Eine Stadt muss durchlässig sein. MAXIMILIAN PROBST

Vortrag und Gespräch: 17 Uhr, Bibliothek der HfbK, Lerchenfeld 2