Nahverkehr hat es schwer

Der nordrhein-westfälische Landtag beschließt heute ein neues Nahverkehrsgesetz. Die Opposition und Fahrgastvertreter befürchten Streichungen von Strecken und sind enttäuscht

VON KLAUS JANSEN
UND ELMAR KOK

Die Mehrheit ist sicher, die Kritik ist groß: Mit den Stimmen von CDU und FDP wird der nordrhein-westfälische Landtag heute das neue Gesetz für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) beschließen. Auf die Fahrgäste kommen schwere Zeiten zu: Weil sich die Landesregierung weigert, den Ausfall von insgesamt 516 Millionen Euro Nahverkehrszuschuss des Bundes auszugleichen, wie das andere Bundesländer taten, muss damit gerechnet werden, dass in NRW künftig nicht mehr alle Strecken bedient werden können.

„Es besteht die Gefahr eines Ausblutens in der Fläche“, sagt Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn. Besonders schwer wird die Situation für die neun Verkehrsverbünde, die den Schienenbetrieb im Land organisieren: Sie sollen zukünftig nur noch pauschal öffentliches Geld erhalten. Bisher garantierte das Land den Betrieb von 98 Millionen Zugkilometern im Nahverkehr. Mit den 800 Millionen Euro, die die Verbünde künftig für die Grundversorgung erhalten sollen, lassen sich nach Ansicht der Opposition nur noch 40 Millionen Zugkilometer jährlich bezahlen. Verkehrsminister Oliver Wittke habe sich von Finanzminister Helmut Linssen (beide CDU) „über den Tisch ziehen lassen“, sagt der grüne Verkehrsexperte Horst Becker.

Die Verkehrsverbünde drohen zwischen Kürzungen des Staates und finanziellen Forderungen der Bahn für den Zugbetrieb zerrieben zu werden. Noch bis zu diesem Jahresende hat die DB den Verbünden Rabatte für die Fahrt auf nordrhein-westfälischen Nahverkehrsstrecken gewährt. Den ab 2008 vertraglich festgelegten Preisanstieg können die klammen Verbünde jedoch nicht aufbringen – und haben deshalb nun eine denkbar schlechte Ausgangsposition in den anstehenden Verhandlungen zur Miete der profitablen Regionalstrecken in den Ballungsräumen. „Die Bahn wird auf die Millionen nicht freiwillig verzichten und wird als Gegenleistung für Rabatte eine Verlängerung der Verträge für die wichtigsten Linien verlangen“, sagt Jürgen Eichel, Landeschef des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Das schließt Wettbewerb auf der Schiene für die kommenden 20 Jahre aus.“

Die Landtagsopposition vergleicht die Position der Bahn bereits mit der eines Drogendealers, der seinen Kunden für kurzfristige Rabatte jahrelang abhängig macht. Angesichts des massiven Probleme erscheint es beinahe verzweifelt, dass der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr seit März monatlich eine Million Euro weniger als vereinbart an die Deutsche Bahn zahlt – angeblich wegen Qualitätsmängeln. Im Gegenzug droht der Staatskonzern mit einer Einschränkung seines Angebots. „Es herrscht Krieg“, sagt Pro-Bahn-Sprecher Ebbers.

Nach Ansicht von Verkehrsminister Wittke wird die Position der Zweckverbände durch das neue Gesetz jedoch gestärkt. Grund ist eine Organisationsreform, die der Minister den Nahverkehrsbetreibern verordnet hat: Statt bisher neun verschiedenen Verbünden sollen ab dem kommenden Jahr nur noch drei neue Dachverbände mit der DB verhandeln. „Wir haben künftig nur noch einen Ansprechpartner“, sagt Wittkes Sprecher Stephan Heuschen.

Wirklich gelungen ist die Umstrukturierung jedoch nicht: Weil sich Regionalpolitiker vor allem in Ostwestfalen erfolgreich gegen die Auflösung ihrer Verkehrsverbünde und damit den Wegfall der gut dotierten Versorgungsposten für verdiente Parteisoldaten sperrten, bestehen neue und alte Organisation bis zum Jahr 2011 parallel. „Die Situation wird völlig unübersichtlich“, kritisiert VCD-Mann Eichel. „Das ist keine Reform“, sagt der Grüne Becker. Die Kunden bekommen von den neuen Dachverbänden zunächst ohnehin nichts zu spüren: Der lästige Wechsel zwischen neun Tarifzonen bleibt vorerst bestehen.