Ein Land in Agonie

VERGANGENHEIT Ihre Bilder fressen sich regelrecht in den Kopf: Die Fotografin Gundula Schulze Eldowy stellt bei C/O Berlin ihre frühen DDR-Zyklen aus, auch aus dem Scheunenviertel, die damals als Provokation wirkten

Diese Intensität ist manchmal kaum erträglich, die Kraft der Bilder ungebrochen

VON ACHIM DRUCKS

Mit verdrecktem Fell und gekrümmten Beinen steht das Lamm im Metallgatter. Man spürt, das Tier hat Angst. Zu Recht. Was ihm bevorsteht, veranschaulicht das Bild nebenan. Es zeigt die abgeschlagenen Köpfe zweier Kühe in einer Blutlache. Blutrot sind auch die Laken, auf denen eine Frau liegt. Ganz allein, mit gespreizten Beinen, nach einer Zangengeburt.

Für ihre Serie „Der große und der kleine Schritt“ begibt sich Gundula Schulze Eldowy an Orte, an denen es ums Existenzielle geht, um den Körper und um das, was Arbeitsbedingungen aus dem Menschen machen. Sie fotografiert im Schlachthof oder im Kreißsaal, in der Fabrik oder der Ballettschule. Und in den Straßen von Berlin, Dresden und Leipzig. Wie die Bewohner zeigen auch die Städte ihre Verwundungen – Ruinenlandschaften, als sei der Krieg gerade erst vorbei.

Diese Aufnahmen entstehen zwischen 1982 und 1990. Derartig schonungslose Bilder macht niemand sonst in Deutschland, Ost oder West. Sie fressen sich regelrecht in den Kopf. Die verzweifelte Greisin, die einen Mann attackiert. Das Neugeborene, gehalten von zwei Händen in Gummihandschuhen. Mit seiner faltigen Haut und dem verformten Schädel sieht es aus wie ein mumifizierter Alien.

Erstarrung, Auflösung

„Es sind Analogien für etwas Erstarrtes, das sich auflöst“, schreibt Schulze Eldowy. Sie zeigt ein Land in Agonie. Keine Spur vom sozialistischen Ideal des Neuen Menschen. In der staatlich reglementierten Bilderwelt der DDR wirken ihre Fotografien als Provokation. Wie ein trauriger Clown thront „Andreas der Rußkönig“ mit verdrecktem Gesicht auf einem Berg von Mülltüten, Arbeiter werden von ihren riesigen Maschinen fast verschlungen – diese Motive lassen die gewünschte ideologische Überhöhung der Werktätigen schmerzhaft vermissen.

Kein Wunder, dass Schulze Eldowys Arbeiten bei den Offiziellen auf keine Gegenliebe stoßen. Die Künstlerin wird von der Stasi überwacht. Man verdächtigt sie wegen freundschaftlicher Kontakte zu dem US-Fotografen Robert Frank, eine CIA-Agentin zu sein. Ihrer Verhaftung entgeht sie nur durch den Zusammenbruch der DDR.

Die Serie „Der große und der kleine Schritt“ ist der fulminante Abschluss von Gundula Schulze Eldowys DDR-Zyklen. C/O Berlin präsentiert die Farbaufnahmen jetzt zusammen mit den Schwarz-Weiß-Bildern aus weiteren frühen Serien wie „Berlin in einer Hundenacht“ und „Tamerlan“. Die abgerockten Räume des ehemaligen Postfuhramts sind dafür der ideale Ort. Viele Fotografien entstanden in den nahe gelegenen Straßen und Hinterhöfen. Das damalige Berlin erscheint ihr als „archäologische Stätte“. Hier entdeckt sie Kneipen im Tiefparterre, die „Zur unterirdischen Tante“ heißen, oder das „Sargmagazin Karl Prösecke“. Spuren einer Ära, die nach der Wende endgültig verschwunden sind.

Mit 18 Jahren zieht Schulze Eldowy 1972 aus der thüringischen Provinz nach Mitte, wo sie bis 1985 in der Rosa-Luxemburg-Straße lebt. Mit ihrer Kamera erkundet sie vor allem das Scheunenviertel. In den heruntergekommenen Häusern wohnen die Menschen, für die ein Leben im Plattenbau nicht infrage kommt.

Schönheit und ihr Verfall

Es sind Außenseiter – Alte, Arme, Vergessene. Wie Tamerlan, die eigentlich Elsbeth heißt. Trotz ihres Alters sieht man ihr die einstige Schönheit noch an. Über Jahre hinweg fotografiert Schulze Eldowy Tamerlans körperlichen Verfall. Dabei entstehen Bilder von unglaublicher Intimität. Arbeiten, die nur aus einer Beziehung heraus entstehen können, nicht aus distanzierter Beobachtung.

Mit „Der große und der kleine Schritt“ verabschiedet sich Schulze Eldowy von der klassischen Schwarz-Weiß-Fotografie. „Farbe war für mich eine Möglichkeit, das Bild zu übersteigern und noch intensiver zu machen.“ Diese Intensität ist manchmal kaum erträglich, denn in diesen Fotografien geht es eben nicht nur um ein sterbendes System, sondern um den Tod und das Leben an sich. Die Kraft dieser Aufnahmen ist ebenso ungebrochen wie ihre Aktualität – gerade in den Zeiten computergenerierter Makellosigkeit und Botox-gestraffter Haut.

Nach der Arbeit an diesem Zyklus verlässt sie Deutschland, geht nach New York, fotografiert in Ägypten, Peru und der Türkei. Diese Fotografien sind in einer parallelen Ausstellung im Kunst-Raum des Deutschen Bundestages zu sehen. Ihr Weg führt Gundula Schulze Eldowy von den Berliner Hinterhöfen zu den Pyramiden oder in die Anden. Es ist eine Reise ins Licht, die ihre Arbeit radikal verändert. Doch eigentlich sind sich das Neugeborene aus Dresden und die Mumie aus Ägypten ganz nah.

■ Gundula Schulze Eldowy. Die frühen Jahre: Fotografien 1977 bis 1990. C/O Berlin, bis 26. 2. 2012, tägl. 11–20 Uhr

■ Kataloge: „Berlin in einer Hundenacht“, „Der große und der kleine Schritt“. Lehmstedt Verlag, je 29,90 Euro

■ Gundula Schulze Eldowy. Verwandlungen: Fotografische Serien nach 1990. Kunst-Raum des Deutschen Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, bis 26. 2. 2012 Di.–So. 11–17 Uhr