: Was länger kippelt ...
... fällt endlich um: Hiltrud Kier räumt den Chefsessel der Kölner Museen. Kulturpolitischer Skandal oder bloß säkularer Karneval? ■ Von Bernd Imgrund und Thomas Fechner-Smarsly
Man ist mitunter geneigt zu glauben, der Kölner komme ohne den Karneval nicht aus. Deshalb befleißigt er sich außerhalb der tollen Tage einer säkularen Spielart: des Klüngels, gewissermaßen eine Art des schunkelnden Miteinanders im laufenden Betrieb. Diesen Eindruck jedenfalls mußte man angesichts der Ereignisse gewinnen, die zum Sturz der Generaldirektorin der Kölner Museen, Hiltrud Kier, geführt haben. Wirklich nur ein Nachspiel für die Jecken oder ein handfester kulturpolitischer Skandal? Nachdem ihr Stuhl schon einige Zeit gekippelt hatte, rutschte er nun endgültig unter ihr weg – unter mancherlei hartnäckiger Nachhilfe, wobei am Ende der harte Sturz durch eine weichgepolsterte Stellung als Leiterin des Wissenschaftsreferats abgemildert wurde.
Von Anfang an war Kiers Position alles andere als unumstritten. Kaum konfliktscheu und in vielen Fällen nicht gerade diplomatisch, bezeichnete sie Kurt „Kojak“ Rossa, Kölns schillernder Oberstadtdirektor der 70er und 80er Jahre, einmal als „einzigen Mann in der Kölner Verwaltung“. Damals war Hiltrud Kier noch Stadtkonservatorin. Nach allerlei Querelen bugsierte der Stadtrat sie 1990 schließlich doch und sogar einstimmig auf den Chefsessel der Kölner Museumslandschaft. Zuvor hatte sich die CDU noch veranlaßt gesehen, im Rat die Auflösung des Generalspostens zu beantragen. Und dies, obwohl zu jener Zeit ein Mann in den Startlöchern hockte, der nicht nur der CDU nahestand, sondern im Gegensatz zu Frau Kier auch über ausreichende Erfahrungen bei der Leitung von Museen verfügte: Rainer Budde, Leiter des traditionsreichen Wallraf-Richartz-Museums. Schon einmal war der ausgewiesene Fachmann für mittelalterliche Malerei und Plastik nur knapp am Stuhl des Generaldirektors vorbeigeschliddert. Mit seiner Übernahme des Wallraf-Richartz-Museums 1981 endete die Tradition, daß der Leiter dieses Hauses zugleich Chef des Direktorats ist. Da Budde, wie auch Peter Ludwig, Mitglied des ebenso einflußreichen wie finanzkräftigen Museums-Kuratoriums ist, stand die Wahl Kiers von Anfang an auf sehr wackligen Beinen. Galt sie doch nicht nur als gänzlich unbeschlagen in Dingen der modernen Kunst, mit ihr kam auch keine Museums-, sondern eine ausgesprochene Verwaltungsexpertin. Doch die Tatsache ihrer museumspolitischen Unbedarftheit wäre allein nicht weiter tragisch gewesen. Ihre programmatische Äußerung jedoch – „Es gibt nicht nur zeitgenössische Kunst in Köln, nun sind endlich die anderen dran“ – wog ungleich schwerer und brachte die einflußreichen Förderer gegen sie auf. Und ohne die geht in der Rheinmetropole gar nichts. Immerhin sperrte sich Kier erfolgreich gegen die ausschließliche Bespielung der Josef-Haubrich-Kunsthalle durch Ausstellungen mit moderner Kunst und verteidigte sie als Präsentationsstätte aller Museen. Angesichts solch egalitären Gedankengutes war in den Augen so mancher nicht allein das Aushängeschild der Stadt in Gefahr, sondern zugleich, was noch an ihm hängt – der Kunstmarkt. In der Stadt der Sammler und Mäzene zweifellos keine unerhebliche Frage, zumal der Aus- und Aufbau der Kölner Museen seit Jahrzehnten den Eckpfeiler der Kulturpolitik bildete. Wobei der Kunsthandel zur notwendigen Popularisierung der zeitgenössischen Kunst beitrug.
So richtig ins Rollen kam die Kölner Skandal-Chose jedoch mit einem Mahnbrief Kiers an den bereits erwähnten Rainer Budde, vom 17. Mai diesen Jahres. In diesem Schreiben bezichtigte Kier den Direktor der wiederholten Dienstpflichtverletzung und stellte zudem fest, daß „Sie nicht nur keine erkennbare Arbeitsleistung erbringen, sondern darüber hinaus den Kölner Museen zunehmend schaden“. Vier Tage später stellte die Generalin den Gescholtenen kalt: In einer internen Dienstanweisung bestimmte sie, Anordnungen des Direktors wären nur noch in Verbindung mit ihrer Bestätigung zu befolgen, eingehende und ausgehende Post des Wallraf-Richartz- Museums hätte zukünftig zur Absegnung über ihren Schreibtisch zu wandern – nicht nur in Köln ein bis dato einmaliger Vorgang. Das Schreiben nebst Anordnungen geriet auf verklüngelten Wegen in eine Lokalzeitung, welche den Vorgang zu einer Breitseite gegen Kier benutzte, wobei man dort allerdings die Beteiligung des Kölner Kulturdezernenten Peter Nestler – er hatte Kiers Brief mitunterzeichnet – geflissentlich unterschlug. Besagter Kulturdezernent setzte die Kier-Order postwendend außer Kraft, aber das kölsche Ungemach nahm bereits seinen Lauf, und zwar zügig. Ganz ohne jeden Frohsinn hatte nämlich der ehrengerührte Budde bereits seinen Anwalt eingeschaltet. Und auf Anordnung des Dezernenten blieb die Generalin von der nächsten Direktorenkonferenz ausgeschlossen, wo das Direktorat zunächst hinter vorgehaltener Hand seinen Zukunftsängsten Ausdruck verleiht. Wohl in der Angst, es könne einem bald ebenso ergehen wie dem geschätzten Kollegen Budde, probten die acht Direktoren den Aufstand. Am 9. Juni beschlossen sie schließlich – und zwar einstimmig und inklusive der drei Frauen, die unter Kiers Generaldirektorat die Chefsessel erklommen hatten –, daß „keine Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit“ bestünde. Als auch noch der Allmächtige persönlich, der Stifter und Namenspatron des gleichnamigen Museums, Peter Ludwig, stellvertretend für die Sponsoren und Sammler sein Entsetzen über Kier äußerte, war sie nicht mehr zu retten. Von wem auch. Schließlich hatte sie nach Verwaltung, Direktoren und Sammlern sogar noch die Kölner Politiker gegen sich aufgebracht, indem sie die Ratsmitglieder pauschal zu Kulturbanausen erklärte. Und so war ihre Ablösung nur noch eine Frage der Zeit.
Ein Gutteil zur gelungenen Anrichtung dieses Chef-Salates beigetragen hatte indessen Marie Hüllenkremer, ihres Zeichens stellvertretende Chefredakteurin des Kölner Stadtanzeigers. Sie hatte den Fall Kier frühzeitig übernommen und mit kriminologischem Interesse verfolgt. Auf ihrem Schreibtisch landeten nicht nur jene internen Dienstanweisungen Kiers, sondern ebenso die Protokolle der nichtöffentlichen Kulturausschußsitzungen, die vertraulichen Briefe der Museumsleiter an die Generaldirektorin sowie deren einlenkende Antwort vom 18. August, in der diese erstmals eigene Fehler eingesteht. Galt ihr Frau Kier anfangs noch als „handfest, robust, down to earth“, als eine, die mit dem Fahrrad zum Dienst fährt und ihren Apfelkuchen selber macht, so rangierte sie bald weniger hausbacken unter „unbelehrbar“, „unsensibel“ und „ungeschickt“.
Und so fand sich kürzlich, wen wundert's, im nämlichen Lokalblatt auch ein Brief Kiers an die übrigen Museumsdirektoren, in dem sie unter anderem erklärt: „Ich will dabei auch gerne sicherstellen, daß ich mich kulturpolitisch nicht mehr einmischen werde, indem ich als erstes Zeichen guten Willens die Kölner Zeitungen abbestelle ...“ In gegenseitigem Einvernehmen wäre wohl zuviel gesagt, aber Kier fügt hinzu, sie habe auch „keine Probleme damit, wenn es gewünscht wird, mich ausschließlich in die wissenschaftliche Forschung zurückzuziehen und historische Themen zu bearbeiten“. Nachdem diese Möglichkeit, aus der anteilnehmenden Eile aller Beteiligten zu schließen, hinreichend sichergestellt scheint, steht dem allgemeinen Wohlgefallen ja nichts mehr im Wege. Oder? Zugegeben, angesichts des immensen Haushaltsloches und des daraufhin beträchtlich enger geschnürten Stadtsäkkels macht dem einen oder anderen Ratsmitglied die hohe Dauerabfindung für Frau Kier (sie erhält ihre vollen Bezüge von 150.000 DM jährlich) einige Bauchschmerzen. Aber was ist das schon, wo es um den Ruf von Köln als Kunstmetropole geht, so ungefähr den einzigen, den es – kulturpolitisch betrachtet – noch zu verteidigen gilt. Schließlich hatte man unterdessen mit dem gekippten Filmfest bereits 800.000 DM in die Sandgrube gesetzt, aus welcher der ambitionierte Kölner Media-Park großenteils noch besteht. Da verwundert es gleich gar nicht mehr, wenn die Stadt wenige Tage nach der vom Kämmerer verhängten Haushaltssperre das Vermächtnis des Fotografen Robert Lebeck erwerben kann, das inklusive der Landeszuschüsse immerhin 4,5 Millionen DM auf die Silberplatte brachte. Wie sagte doch irgendwann einmal ein Schlaukopf? Was halten Sie von der Formel: Kunst plus Geld gleich Kulturpolitik? In Köln sicher so viel wie anderswo. Und wenn man den Küngel hinzuaddiert, dann stimmt die Rechnung auch unter dem Strich.
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