Kein grünes Licht aus dem Politbüro

■ Ungarns Umweltschützer wollen sich auf nationaler Ebene zusammenschließen und hoffen auf die Erlaubnis von oben / Selbst Demonstration mit Gasmasken und Flugblättern gegen die Luftverschmutzung konnte kürzlich in Budapest stattfinden / Umweltamt durchaus bereit, unabhängige Umweltorganisationen zu stützen

Aus Budapest Hubertus Knabe

Man hätte beinahe den Eindruck gewinnen können, es handele sich um ein ganz alltägliches Unterfangen. Letzten Dienstag kamen in Budapest rund hundert Menschen zusammen, um die Gründung des „Nationalen Umweltschutzvereins Donau“ vorzubereiten. Die Behörden hielten sich zurück, so daß mit beinahe langweilender Sachlichkeit die ehemals zerstrittenen oder getrennt arbeitenden Gruppen der ungarischen Öko– Bewegung ein Projekt diskutieren konnten, das die politische Atmosphäre in dem kleinsten Land des Warschauer Paktes nachhaltig verändern könnte - die erste landesweite Organisation unabhängiger Umweltschützer in Osteuropa. Initiiert haben die Vereinsgründung 13 Personen, die ein breites politisches Spektrum repräsentieren, vom Sprecher des „Donaukreises“, Janos Vargha, über den Herausgeber der unabhängigen Umweltzeitschrift Vizjel, Ferenc Langmar, bis hin zu dem Juristen und Hochschullehrer, Laszlo Solyom. Im Februar bat die Gruppe den Chef des ungarischen Umweltamtes um ein Gespräch in dieser Sache, im April reichte sie - trotz offizieller Vorbehalte - die juristisch ausgefeilte Anmel dung des Vereins ein. 30 Tage später, so schreiben es die ungarischen Gesetze vor, kann die Gründungsversammlung stattfinden, wenn bis dahin keine stichhaltigen staatlichen Einwände erhoben werden. Ist der Verein erst einmal gegründet, so die Initiatoren, müßten die Behörden mit einer Klage rechnen, wenn sie nachträglich seine Auflösung verlangen sollten. Das Projekt ist nicht der erste Versuch dieser Art im sozialistischen Ungarn. Schon vor drei Jahren wollten Umweltschützer im Zusammenhang mit den Protesten gegen das Staustufensystem von Boes/Nagymaros den „Donau– Landschaftsschutzverein“ ins Leben rufen. Auch das Umweltamt gab sich aktiv. Es wollte den ungarischen Vogelkundlerverein in eine allgemeine Naturschutzorganisation umwandeln. Letztes Jahr wurde die patriotische Volksfront dann von der Partei zurückgepfiffen, als sie die Schaffung eines „Verbandes Ungarischer Umweltschützer“ ankündigte. Inzwischen jedoch, so argumentieren die 13 Initiatoren, sei das Umwel– tengagement in Ungarn keine Neuerscheinung mehr, sondern werde auch von Teilen des Apparates als notwendig und nützlich akzeptiert. Umweltbewegung breitet sich aus Tatsächlich erheben Umweltschützer in Ungarn in letzter Zeit immer lauter ihre Stimme, und durchaus nicht nur außerhalb der offiziellen Institutionen. Im ganzen Land sind Umwelt– und Naturschutzklubs entstanden, die dem Jugendverband oder der Volksfront angeschlossen sind und einen Bewußtseinswandel fordern. Die Zeitungen berichten beinahe täglich über Umweltfragen, und anders als früher scheut man auch vor ungewöhnlichen Aktionen nicht mehr zurück. Erst Ende April hatten vier offizielle Umweltklubs im Rahmen der Internationalen Woche gegen den sauren Regen eine Demonstration durch die Budapester Innenstadt organisiert, um mit Gasmasken, Mundschutz und Flugblättern gegen die unerträgliche Luftverschmutzung zu protestieren. „Nein zum sauren Regen“ und „Wir wollen Luft atmen, nicht Kohlenmonoxyd“, forderten sie in Aufschriften auf weißen Kitteln - die Genehmigung für die Aktion hatten der Jugendverband und das Umweltamt besorgt. Umweltprobleme haben die Bevölkerung in Ungarn seit einigen Jahren vielerorts in Rage gebracht. 10.000 Bürger unter schrieben 1984 eine Protestpetition an das ungarische Parlament gegen das Donaustaustufensystem, das nach Ansicht von Fachleuten die Trinkwasserreserven von sieben Millionen Menschen gefährdet. Ein Jahr später protestierten 2.000 Menschen in der Industriestadt Dorop gegen die Errichtung einer Sondermüllverbrennungsanlage, deren Abgase ein nahes Wohngebiet belasten werden. Seit Jahren macht auch der Umweltklub der Budapester Lorand–Eotvoes–Universität gegen den Betrieb eines Steinbruches mobil, der sich unter Umgehung der Gesetze immer tiefer in ein Naturschutzgebiet hineingefressen hat. Schließlich mußte unter dem Druck von Bevölkerungsprotesten im vergangenen Jahr ein lukrativer Müllimport aus Österreich gestoppt werden, der die Trinkwasserbestände der westungarischen Stadt Mosonmagyarovar in Gefahr gebracht hat. Zu einem erneuten Protest gegen das Donau–Staustufensystem kam es am Dienstag, als in Budapest die osteuropäische Regionalkonferenz des sogenannten „Bruntland–Ausschusses“ tagte, der sich im Auftrag der UNO mit Umweltproblemen beschäftigt. Ungarische Umweltschützer übergaben der norwegischen Botschaft ein Schreiben an die norwe gische Ministerpräsidentin Gro Harlem Bruntland, die dem Ausschuß den Namen gegeben hat. In dem Schreiben baten die Umweltschützer Frau Bruntland um persönliche Unterstützung in ihrem Kampf gegen das Staustufensystem und um Hilfe bei der Bildung einer internationalen Kommission unabhängiger Experten, die das Projekt beurteilen soll. Umweltamt contra Politbüro Die neueste Initiative zur Gründung eines Umweltvereins könnte dazu geeignet sein, die vielen zersplitterten Aktivitäten zusammenzuführen und durch Rechtshilfe und praktischen Rat die Entstehung neuer zu befördern. Der Verein, so heißt es in dem Anmeldungsschreiben, soll einerseits den interessierten Fachleuten ein Forum geben, andererseits Informationen sammeln und publizieren und den Bürgeraktivitäten einen organisatorischen Rahmen sichern. „Ich möchte betonen“, sagte der Mitbegründer Laszlo Solyom zur taz, „daß wir nicht erst auftreten wollen, wenn etwas passiert ist, sondern als langfristige Interessenvertretung des Umweltschutzes mit positiven Zielen arbeiten. Die landesweite Organisation ist deshalb so wichtig, weil es in der Provinz noch viel schwieriger ist, eine Umweltbewegung zu entfachen, und wir den örtlichen Gruppen dort mit dem Verein einen legalen Rahmen geben könnten. Das ungarische Umweltgesetz schreibt im übrigen vor, daß es nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Bürger ist, ihre Umwelt zu schützen.“ Ob die politische Führung Ungarns dies auch so sieht, soll sich spätestens nächste Woche herausstellen, wenn das Antwortschreiben des Umweltamtes eintreffen soll. Daß letzterem die Vereinsgründung durchaus sympathisch sein könnte, um dem Umweltschutz mehr Nachdruck zu verleihen, ließ sich daraus entnehmen, daß eine Reihe von Mitarbeitern als „Privatbürger“ der Versammlung beiwohnten. Einer von ihnen verglich die Initiative gar mit der Entfaltung eines Segels, das es ermöglichen solle, mit größerer Fläche in eine ökologische Richtung zu gelangen. Doch die Entscheidung über das Schicksal des Umweltvereins wird im ungarischen Sozialismus nicht vom Umweltamt getroffen, sondern vom Politbüro, und das hat sich durch ökologisches Gedankengut bislang nicht sonderlich hervorgetan. „Dürfen wir nicht als Verein arbeiten“, kündigten die Initiatoren jedoch bereits an, „dann arbeiten wir eben als Bewegung.“