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Stimmen der Volksseele

Die Zeitung 'Komsomolskaja prawda‘ veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 29.Juni 1988 unter der Rubrik „Telefon-Position“ die ersten Stellungnahmen von Lesern zum Bericht von Michail Gorbatschow auf der 19.Parteikonferenz, die in der Redaktion der Zeitung eingegangen sind:

Juri Wolkow aus Kasan: „Mit großem Interesse habe ich den Bericht von Michail Gorbatschow angehört. Ich teile praktisch alle von ihm geäußerten Gedanken. Nur mit einem bin ich nicht einverstanden. Wenn man schon die Frage der Begrenzung wählbarer Funktionen aufwerfen soll, dann nur so: Darf man für eine dritte Amtszeit gewählt werden oder nicht? Meiner Ansicht nach wäre es ungerecht, sie zum ausschließlichen Vorrecht von Leitern höchster Ebenen zu machen. Wenn das ZK bei sich einen solchen Präzedenzfall schafft, dann wird er auch sehr bald in den unteren Stufen Einzug halten.“

Die Moskauerin Lilia Schwarzman: „Ich billige vorbehaltlos jene Vorschläge von Gorbatschow, die sich auf die Garantien für die Einhaltung der Rechte der Sowjetbürger beziehen. Es kann keine Interessen des Staates ohne Interessen der Menschen geben.“

Oleg Timoschin aus Minsk: „Mir scheint, daß im Bericht zu viel Aufmerksamkeit politischen Deklarationen, zu wenig aber dem Mechanismus ihrer Realisierung geschenkt wird.“

A.Swiridowa, Veteran des Zweiten Weltkrieges aus Nowosibirsk: „Ich habe mir den Bericht angehört, und mir tat es zum ersten Mal in meinem Leben leid, daß ich kein Parteimitglied bin.“

Wsewolod Jewdokimow, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter der Moskauer Universität: „Erinnern Sie sich, daß Lenin in den Aprilthesen eine tiefschürfende Analyse der Kräftekonstellation am Vorabend der Revolution gegeben hat? Heute sprechen wir ebenfalls über revolutionäre Umgestaltung. Wieder ist die Machtfrage mit die wichtigste. Aber weder in den Thesen des ZK der KPdSU noch im Bericht gibt es eine solche Analyse. Die Umgestaltung von einem sauberen Blatt an zu beginnen, als sei es ein außerhalb der Geschichte stehender Prozeß, ist unmöglich, die Gesellschaftskundler, die an der Konferenz teilnehmen, müssen diese Lücken schließen.“

Natalia Kossowa aus Moskau: „Ich habe im Rundfunk Auszüge aus den Ansprachen einiger Delegierter gehört. Statt den Bericht zu erörtern, singen sie Loblieder auf seine Tiefgründigkeit und Weisheit.

Die Moskauerin Natascha Jaritsch: „Ich bin darüber betrübt, daß das zentrale Fernsehen keine Direktreportagen von der Konferenz übertragen wird. Wir wollen wissen, wer welche Positionen in der Debatte zum Bericht verteidigen wird.“

Novosti

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